SVP: Linke musssich von Extremisten distanzieren
Experten sprechen beim körperlichen Übergriff
gegen Nationalrat Hans Fehr von «Tabubruch» –
SVP-Exponenten: «Linke ignoriert, was am extremen Rand geschieht»
Quelle: Sonntag / MLZ; 30.01.2011
von Othmar von Matt
Die Gesellschaft
verniedliche den Linksextremismus, kritisieren Experten. Und die
SVP geht auf die Linke los: zu lange habe sie sich nicht distanziert–
und den kommunistischen Totalitarismus schlecht aufgearbeitet.
Dass SVP-Nationalrat
Hans Fehr auf offener Strasse attackiert und zusammengeschlagen
wurde, sei «ein Tabubruch», sagt der Extremismus-Experte
Samuel Althof. Er ist in der Prävention von rechts- wie linksextremer
Gewalt tätig. Die linksextreme Szene verstehe «ihren
Angriff auf den Menschen Fehr emotionslos als Angriff auf das System».
Althof: «Die Abspaltung von Empathie gegenüber dem Opfer
ist äusserst gefährlich, weil das Leiden des Opfers nicht
mehr wahrgenommen wird.»
Althof sieht im Vorgang
Parallelen zur Entführung und Ermordung des deutschen Arbeitgeberpräsidenten
Hans Martin Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF) von 1977.
«Auch die RAF spaltete Menschlichkeit und Emotionen ab»,
sagt Althof. «Sie sah Schleyer als Teil des Systems und nicht
als Menschen, hat ihn in der Gefangenschaft sehr schlecht behandelt
und kaltblütig ermordet.»
Happige Aussagen.
Für Althof ist klar, dass die Gesellschaft den Linksextremismus
zu lange nicht als das wahrnahm, was er ist: undemokratisch, revolutionär
und gewalttätig. Verharmlosende Begriffe wie «Chaoten»
oder «Schwarzer Block» würden dies beweisen. «Sie
selbst bezeichnen sich als ‹revolutionär›»,
sagt Althof. «Mit diesem Begriff wird klar, dass Gewalt Teil
deren Systems ist.» Man müsse sich nur die Homepage des
«Revolutionären
Aufbaus Schweiz» ansehen, um Bescheid zu wissen.
«Da wird von ‹territorialer Kontrolle› geschrieben,
von ‹revolutionärer Gegenmacht›, ‹Kampffront›
und ‹systemsprengendem Potenzial›», sagt Althof.
«Das ist Kriegsrhetorik.» Dass der «Revolutionäre
Aufbau» das System sprengen wolle, habe sich mit der Detonation
einer Art symbolischen Bombe am WEF gezeigt. «Der Anschlag
geschah zwar auf einer dilettantischen Ebene», sagt Althof.
«Doch wie bei einem Amoklauf kann die Tatsache, dass dieser
gedacht und geschrieben wird, die Vorstufe zur Tat sein.»
Die Gesellschaft habe
die Geschichte des Linksextremismus «nicht wirklich erforscht
und aufgearbeitet». Genauso wenig wie Gewaltpotenzial und
antidemokratische Kraft des Stalinismus. Eine Analyse, mit der sogar
der Grüne Josef Lang teilweise übereinstimmt: «Die
Linke hat die stalinistischen Verbrechen in der Tat ungenügend
aufgearbeitet.»
In der Öffentlichkeit
existiere ein unterschiedliches Bewusstsein zu Rechts- und zu Linksextremismus,
sagt Althof. «Der Nationalsozialismus bedrohte die Schweiz,
wir mussten uns mit ihm auseinandersetzen. Es war eindeutig und
klar: Man musste etwas tun.» Beim Linksextremismus hingegen
sei das «nicht so eindeutig». Die alte
Partei
der Arbeit (PdA), aber auch Teile der SP, seien
in der Zeit des Zweiten Weltkrieges auch in der Schweiz von rechts
verfolgt worden. Die linke Angst vor rechter Politik sei noch heute
spürbar. Althof: «Das führt dazu, dass die Linken
die Auswirkungen des Linksextremismus erst jetzt zu verstehen beginnen.»
In diesem Angst-Reflex
der Linken liegt für die SVP der wunde Punkt. «Lange
verstanden sich die Linken als Dschungelkämpfer, welche die
angeblich kurz bevorstehende Machtergreifung der SVP bekämpften»,
sagt SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli. «Das ist die
Lebenslüge der Linken. Die SVP ist so weit entfernt von der
Macht, dass schon der Gedanke daran absurd ist.» Zudem vertrete
die SVP das demokratische Gedankengut, das bis 1990 alle Bürgerlichen
vertreten hätten: Unabhängigkeit, Freiheit, Markt, schlanker
Staat.
Nach dem Schock um Fehr
kommen nun aus der SVP Vorwürfe an die Linke. Dass die europäische
Links-Intelligenzia nie Vergangenheits-Bewältigung betrieben
habe zu totalitären kommunistischen Regimes, sei ein Fehler,
sagt SVP-Nationalrat Oskar Freysinger. «Die Linke sprach vom
lieben Lenin und vom bösen Stalin, sogar Schweizer Sozialdemokraten
flirteten mit Ex-DDR-Staatschef Erich Honecker.» Freysinger:
«Das ist ein Problem bei der Linken. Sie sollte endlich dazu
stehen, dass Stalinismus und Leninismus genau so schlimm waren wie
der Nationalsozialismus. Hitler schaute alles bei Stalin ab.»
Mörgeli sagt: «Die Linke hat jahrelang ignoriert, was
an ihrem extremen Rand geschieht.»
Ganz so einfach
ist das für Althof aber nicht. Die SVP trage ebenfalls eine
Verantwortung. «Auch ihre Sprache enthält Gewaltelemente»,
sagt der Experte. Die SVP diskreditiere und verletze «Menschen,
die sie als Tiere bezeichnet – Linke als
Ratten, kriminelle Ausländer als
schwarze Schafe». Althof: «Beide Formen des
Extremismus bedingen sich. Die Dominanzorientierung prallt aufeinander,
Gewalt steht im Raum.» Drohungen von rechts erhalte er immer
dann, bestätigt auch der Grüne Josef Lang, wenn es um
Themen wie Armee, Waffen, Islam und Ausländer gehe. «Stellt
man die nationale Identität infrage, schafft das am meisten
Aggressionen.»
Bei der SP kann man die
Vorwürfe nicht verstehen. «In der SP ist unbestritten,
dass kommunistische Regimes diktatorisch waren», sagt SP-Fraktionschefin
Ursula Wyss. Vom «Revolutionären Aufbau» sei die
SP genauso weit entfernt «wie alle anderen Parteien».
Wyss distanziert sich entschieden: «Diese Gruppe ist ganz
grundsätzlich gegen Demokratie und Meinungsfreiheit, zieht
Gewalt gegen demokratische Institutionen wie Parteien und Behörden
vor. Das ist inakzeptabel.» Für Wyss ist klar: «Null
Toleranz den Intoleranten.»
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