Extremisten
rüsten auf
Linke «Revolutionäre» haben in den letzten
Monaten versucht, legal Waffen zu erwerben
Quelle: BaslerZeitung, 28.01.2011
Von Timm Eugster
Die Detonation in einem Davoser Hotel, die Bombenattrappe in
St. Gallen und vor allem die Attacke auf SVP-Nationalrat Hans Fehr
bereiten Beobachtern grosse Sorgen. Der Nachrichtendienst spricht
von einer «neuen Qualität» der Gewalt.
«Die
Bonzen treffen sich nicht nur alljährlich im gut abgeriegelten
Davos oder in verschlossenen Hinterzimmern: Sie sind samt ihrer
Ideologie das ganze Jahr über überall präsent. Greifen
wir sie an! Für eine revolutionäre Perspektive!»
Mit diesen Zeilen schliesst das Bekennerschreiben auf der Website
des «Revolutionären
Aufbaus» für die «Bombe», die
am Mittwoch in St. Gallen platziert worden war – es handelte
sich um eine Attrappe, und statt wie geplant bei der HSG, lag sie
bei den Helvetia-Versicherungen.
«Der besonders
reaktionäre Teil der herrschenden Klasse kann sich vom Zorn
der immer schärfer Ausgebeuteten nirgends wirklich sicher fühlen.»
Mit dieser Drohung schliesst das Bekennerschreiben auf der «Aufbau»-Website
zu den «Anschlägen» auf den Zürcher «Club
zum Rennweg», das Büro des früheren BaZ-Verlegers
Martin Wagner in Basel, die «Weltwoche» und weitere
Ziele – die Waffen bestanden aus Farbe und Spraydosen.
Und jetzt haben die Linksextremisten
mit der Detonation im Davoser Posthotel bewiesen, dass die dort
logierenden UBS-Chefs nicht einmal am WEF geschützt sind –
doch platzierten sie nicht Sprengstoff, sondern relativ harmloses
Feuerwerk in einer Abstellkammer.
Also alles
nur Bluff? Für Analytiker wie den Politologen Adrian Vatter
zumindest handelte es sich selbst bei der
brutalen
Attacke auf SVP-Nationalrat Hans Fehr am Rande
der Albisgütli-Tagung in Zürich vor einer Woche um einen
«Einzelfall». Tatsächlich hat die Tat in der linksextremen
Szene eine heftige Kontroverse ausgelöst. Für einen 20-jährigen
Demoteilnehmer war der Tabubruch, dass ein Mensch Zielscheibe einer
potenziell tödlichen Attacke wurde, derart gross, dass er selbst
einen Tabubruch beging: Er vertraute sich entgegen den Regeln der
Szene einem «bürgerlichen Medium» an. Bloss zwei
Personen hätten Fehr angegriffen, so der anonyme Zeuge auf
Radio 1: Alle anderen hätten versucht, die Täter zu stoppen
und Fehr zu helfen. Auch Fehr selbst sprach von einer «wundersamen
Rettung» durch einige Demonstrantinnen.
WAFFENSCHEIN. Zu einem
weit weniger harmlosen Schluss kommt hingegen Samuel Althof, der
in der Prävention rechts- wie linksextremer Gewalt und in der
Ausstiegshilfe tätig ist. Am Tag nach der Attacke schrieb er
in einem Mail an Hans Fehr: «Ich sehe seit etwa acht Monaten
eine mir grosse Sorge bereitende und stetig zunehmende Eskalationstendenz
bis hin zur Bewaffnung in extremistischen Kreisen.» Und: «Gewalt
gegen Politiker wird künftig zum Programm extremistischer Kreise
gehören.»
Tatsächlich haben
nach Informationen der BaZ in den vergangenen Monaten mehrere Linksextreme
ein Gesuch für einen Waffenerwerbsschein gestellt, um auf legalem
Weg an Schusswaffen zu kommen. Die Behörden verweigerten jedoch
die Bewilligungen, da ihnen bekannt war, dass die Gesuchsteller
an einschlägigen Demonstrationen mit gefährlichen Gegenständen
festgenommen worden waren.
Bestätigt wird Althofs
Einschätzung vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Sprecher
Felix Endrich spricht in Bezug auf die Attacke auf Hans Fehr von
einer «neuen Qualität» der Gewalt. Als bisher gefährlichste
Angriffe gegen Menschen durch Linksextreme nennt Endrich erstens
den Versuch, die Bühne zu stürmen, auf der Moritz Leuenberger
als damaliger SP-Bundesrat die 1.-Mai-Rede 2006 hielt, samt Wurf
von Knallpetarden. Als zweiten Vorfall nennt er den Brandanschlag
auf das in der Hausgarage parkierte Auto des Zürcher Justizdirektors
Markus Notter (SP). Für eine umfassende aktuelle Analyse verweist
Endrich auf den Jahresbericht 2010, der im April vorgestellt wird.
Im letzten Bericht vom vergangenen Juli findet sich ein Satz, der
sich jetzt bestätigt haben dürfte: «In Bezug auf
die Anzahl der linksextrem motivierten Aktivitäten ist nach
aktuellem Kenntnisstand eher von einer Zu- als einer Abnahme auszugehen.»
Für das Jahr 2009
bilanziert der NDB 127 «gewalttätige Ereignisse gegen
Objekte und Personen» – sieben Prozent mehr als im Vorjahr.
Der Nachrichtendienst stuft die Hälfte der rund 2000 Linksextremen
in der Schweiz als gewalttätig ein und schreibt von einem «unverändert
hohen Gewaltpotenzial». Tendenzen zu Terrorismus seien aber
nicht auszumachen.
FRUSTRIERT. Die reale
Gewalteskalation wird auf der Internetplattform Indymedia von noch
brutaleren Fantasien begleitet: Man habe gegen Fehr «zugeschlagen
und eigentlich gehofft, dass er dies nicht überlebt»,
so ein Eintrag im Namen des «Aufbaus». Und weiter: «Eine
mutige Genossin hatte noch ihre Pistole auf seinen Kopf gerichtet,
drückte dann aber vor lauter Aufregung leider im falschen Moment
ab.» Der «Aufbau» hat sich von diesem Eintrag
distanziert: Er sei eine Fälschung mit dem Zweck, die Bewegung
zu spalten. Die «Abreibung» hingegen legitimiert die
Organisation mit der Begründung, Fehr stehe «an vorderster
Front bei der Durchsetzung von immenser Gewalt von oben gegen unten».
Dennoch sind solche Tötungsfantasien
für Althof ein Alarmzeichen: «Wie bei einem Amoklauf
kann die Tatsache, dass dies gedacht und geschrieben wird, die Vorstufe
zur Tat sein.» Gewalt ist laut Althof ein Bestandteil jeder
«revolutionären Strategie» – und immer gleichzeitig
auch Propaganda: Es gehe darum, der eigenen Wahrheit als einzig
richtiger Dominanz zu verschaffen, zu beeindrucken und ein latentes
Spannungsfeld zu verschärfen. Waffen würden aus Sicht
von Linksextremen nicht Menschen töten, sondern das System
angreifen – was die Hemmschwelle für deren Einsatz senke.
Die derzeitige «Eskalationsstrategie» führt Althof
auch darauf zurück, dass die Linksextremen politisch orientierungslos,
hilflos und frustriert seien. Dies, weil Linke auf einmal als Bewahrer
gälten und die SVP trotz ihres Konservatismus als fortschrittlich.
Heute sei es die SVP, die mit einer «Wir-gegen-alle»-Widerstandsrhetorik
antrete und ihre Gegner auf Plakaten als Nichtmenschen wie etwa
rote Ratten oder schwarze Schafe oder aktuell als Nicht-Schweizer
diffamiere. Auf diese SVP-Dominanz reagierten die Linksextremen
mit dem Versuch «revolutionärer» Dominanz auf der
Strasse. Gleichzeitig bestehe dieser kleine, radikale Kern hauptsächlich
aus jungen Leuten, die einen völlig normalen Alltag lebten.
Eine Entwicklung in Richtung einer Stadtguerilla wie der RAF sieht
Althof derzeit nicht.
Im zweiten Teil seines
Briefs an Fehr appelliert Althof an den SVP-Politiker, seine unter
dem Schock des Angriffs verständliche Aussage zu relativieren,
er hätte geschossen, wenn er eine Waffe dabei gehabt hätte:
«Denn so wie sie jetzt im Raum steht, könnte sie als
Programm verstanden werden, die zu einer weiteren ‹Aufrüstung›
beider Seiten führen könnte.»
SELBSTJUSTIZ. Fehr hat
das Mail nicht gelesen – er hat über 600 erhalten. Auf
Anfrage der BaZ will er seine «in tiefster Verzweiflung und
Hilflosigkeit» gemachte Aussage nur leicht abschwächen:
In der Realität stelle sich die Frage gar nicht, da er keine
Waffe auf sich tragen dürfe und auch keine Chance gehabt hätte,
eine solche zu ziehen. Und wenn er doch eine hätte einsetzen
können, hätte er «wahrscheinlich in die Luft geschossen».
Die Aussagen seien persönlich
zwar nachvollziehbar, doch nehme Fehr seine Verantwortung als Politiker
nicht wahr, kritisiert Althof: Es brauche eine klare Absage an Selbstjustiz,
damit der Übergriff als Verletzung eines gesellschaftlichen
Tabus verstanden werden könne.
Siehe
auch:
Subversion
vom Mai 2010 - über die Formen revolutionären
Handelns in Zeiten einer nicht revolutionären Situation und
über den Kampf auf der Strasse /Text von Revolutionärer
Aufbau)
Hans Fehr,
Nationalrat SVP
Hans
Fehr befürwortet in "Ausnahmefällen" Ohrfeigen
für Kinder
Zitat:
«Im Ausnahmefall einmal ‹eis a d’Ohre› schadet
nicht. Das kann eine Situation klären und für Kinder sogar
heilsam sein.
Hans Fehr (SVP):
Eine Ohrfeige als taktisches Element (Filmausschnitt
aus SF-Dok)
Dominanzkultur:
Texte zu Fremdheit und Macht
Blick:
«Wir hofften, dass er dies nicht überlebt»
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