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«Die Gesellschaft reagiert, also bin ich»
Ausstiegshelfer Samuel Althof zum Umgang mit Rechtsextremen und Schweizer Islamisten

Quelle: Basler Zeitung; 30.04.2010
INTERVIEW: TIMM EUGSTER

Junge Extremisten spielen mit Ängsten, um beachtet zu werden, sagt der Basler Präventionsexperte. Er rät dazu, sie die Folgen ihrer Selbstausgrenzung spüren zu lassen.

BaZ: Am 1. Mai wird der schwarze Block die Revolution proben, der Basler Pnos-Vorsitzende Philippe Eglin will in Schweinfurt an einer NPD-Demo auftreten, die Islam-Konvertiten Nicolas Blancho und Quaasim Illi sind auf allen Kanälen präsent. Was verbindet diese jungen Leute?

SAMUEL ALTHOF: Das Bedürfnis, gehört und anerkannt zu werden. Rechtsextreme greifen auf den Nationalsozialismus mit seinen Millionen von Toten zurück, Islamisten rufen das Bedrohungsbild von 9/11 und den folgenden Attentaten hervor, Linksextreme evozieren den stalinistischen Gulag und linken Terror. Die Option der Gewalt ist ein verbindendes Element: Mit diesen Ängsten spielen sie alle. In der Rückspiegelung, wie die Gesellschaft auf diese Ängste reagiert, erleben die Extremisten eine Beachtung und narzisstische Selbstaufwertung. Die Gesellschaft reagiert, also bin ich.

Viele stammen aus scheinbar normalen Schweizer Familien und grenzen sich dann selbst aus der Gesellschaft aus.

Die Rechtsextremen, die ich beim Ausstieg begleite, wachsen oftmals mit einem nicht präsenten Vater und einer dadurch überforderten Mutter auf. Dasselbe kann man oft auch bei jungen Schweizer Islamisten beobachten. Auf diese Kränkung reagieren sie etwa mit emotionaler Regression: Sie suchen ein in sich geschlossenes, scheinbar widerspruchsfreies Weltbild. In der Reaktion der Gesellschaft, die sie mit ihrem Verhalten provozieren, suchen sie in pervertierter Form die Präsenz des fehlenden Vaters.

Ist es Zufall, ob jemand in eine linke, eine rechte oder eine islam-fundamentalistische Szene gerät? Illi war ja früher extrem links…

Ein Stück weit schon. Illi hat sich mit den palästinensischen Opfern solidarisiert und ist so zum Islamisten geworden. Vielleicht versteht er sich als Opfer seiner Geschichte und reinszeniert unbewusst einen Teil davon: Die Verletzungen, die er als Kind erfahren hat, weil die Eltern ohne ihn auswanderten, bringen ihn dazu, zum Extremisten zu werden, der erneut geächtet wird – jetzt von der Gesellschaft.

Hisham Maizar von der grössten islamischen Dachorganisation Fids wollte die «jungen Exoten» väterlich von ihrem Weg abbringen. Doch sie liessen ihn auflaufen – jetzt fürchtet sich Maizar vor Gewalt.

Sobald jemand programmatisch extremistisch ist, wird der Dialog wirklich schwierig. Weil diese Leute die Widersprüchlichkeiten des Lebens nicht ertragen, kann man sie in ihrer Ideologie kaum mehr erreichen.

Wie also reagieren?

Solange keine reale Gefahr besteht, soll die Gesellschaft diesen Menschen klar, ruhig, sachlich und unaufgeregt begegnen, ihnen aber verständlich machen, dass extremistische Werte in unserer Gesellschaft keine Chance haben. Dann müssen sie die Folgen ihrer Selbstausgrenzung selber ertragen und es kann wieder ein Realitätsbezug entstehen.

Der Pnos-Vorsitzende Eglin wurde mit der Realität konfrontiert, indem er den Job bei Novartis verloren hat und ein Strafverfahren gegen ihn läuft.

Genau das meine ich. Blancho und Illi hingegen erhalten jetzt in den Medien jene narzisstische Aufwertung, die sie suchen – und damit eine Scheinautorität. Medien und Politik müssen sie auf die Position der kaum relevanten Splitterminderheit zurückversetzen, die sie sind. Einschreiten muss man erst, wenn Gesetze verletzt werden oder wenn von einer Parallelgesellschaft eine Gefahr ausgeht. Es gibt aber kein Gesetz, das verbietet, blöd zu tun.

Sollte nun der Staatsschutz gestärkt werden, damit Gefahren rascher erkannt werden?

Es ist sehr wichtig, dass unser Staat und damit unsere Demokratie mit genügend Möglichkeiten des Selbstschutzes ausgestattet werden. Eine bessere, auch internationale Zusammenarbeit der Fachleute aus Prävention, Polizei, Nachrichtendiensten und Wissenschaft wäre zu begrüssen.

Was würde ein Verbot bewirken?

Der Ruf nach einem Verbot zeigt, dass es auch in der Mehrheitsgesellschaft Leute gibt, die sich weigern, sich mit der Realität auseinanderzusetzen: Die Extremisten sind nun mal da. Wenn man jemandem verbietet zu existieren, obwohl er existiert, wird dies von ihm als psychische Gewalt empfunden. Dies kann zu gefährlichen Gegenreaktionen führen. Verboten ist nur die Al Qaida – und das ist richtig.

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