Mit Sturmhaube und Tyr-Rune
Die rechtsextreme „Junge Tat“ fiel in der Schweiz wiederholt
auf, im Herbst auch in Basel. Die rechte Szene ist diffus.
Von Frank Zimmermann
Quelle:
Badische Zeitung 03.03.2023
BASEL
Im vergangenen November stiegen sechs vermummte Männer auf
das Dach des Bahnhofs SBB, machten dort mit Pyro auf sich aufmerksam
und entrollten ein Banner mit der Forderung „Kriminelle abschieben“.
Die Männerim Alter zwischen 18 und 21 Jahren, anschließend
von der Polizei in Empfang genommen, sind alle Mitglieder der „Jungen
Tat“ (JT), einerrechtsextremen Gruppe, die vor zirka drei
Jahren aus der Eisenjugend
und der Nationalistischen Jugend Schweiz hervorgegangen ist. In
der Schweiz ist sie aktuell die auffälligste rechtsextreme
Gruppierung. Im Oktober störte sie in Zürich die Vorlesestunde
einer Dragqueen für Kinder und entzündete Pyros. Im Juni
2022 wurde ebenfalls in Zürich ein Gottesdienst für Schwule
und Lesben gestört, die Vermummten gehörten mutmaßlich
der JT an.
Rechtsextremismus in der auf politischen Ausgleich und Konsens bedachten
Schweiz? Es handle sich um eine „punktuelle Gefahr“,
sagt Samuel Althof, Leiter der Basler Fachstelle für Extremismus
und Gewaltprävention. Er kennt die Neonazi-Szene der Schweiz
seit 30 Jahren. „Es gibt hier keine strukturelle Gefahr wie
etwa in Deutschland zum Beispiel damals durch die Wehrsportgruppe
Hoffmann oder den NSU“, sagt Althof, der Aussteiger aus der
rechten Szene begleitet. Die „Junge Tat“ sei „viel
zu klein“, um Fuß zu fassen – im harten Kern geht
man von zwei Dutzend, insgesamt von maximal 100 Anhängern,
aus. Althof warnt aber: „Gefährlich ist der Transport
ihrer eindeutig rechtsextremen Ideologien.“ Gehetzt wird gegen
Migranten, queere Menschen, Flüchtlinge und Menschen jüdischen
Glaubens.
Aggressiv rechtsextreme Gruppen treten in der Schweiz eine Weile
in Erscheinung und tauchen dann wieder ab, so zum Beispiel „Blood
and Honour“, die heute kaum noch sichtbar sind. Die „Junge
Tat“ setzt nicht auf körperliche Gewalt,sondern versucht
anders, im öffentlichen und virtuellen Raum aufzufallen:An
einer Zürcher
Hochschule wurde ein OnlineSeminar gehackt, an der Uni Basel eine
Online-Veranstaltung des Instituts
für jüdische Studien gestört. Ihre Plattform
sind die Sozialen Medien, wo sie an Narrative von Erzkonservativen
und Rechtspopulisten andockt mit Themen wie der Ausländerkriminalität,
der Kopftuchfrage oder der Genderpolitik.
In Parlamenten konnten sich Rechtsextreme weder auf nationaler
noch kantonaler Ebene etablieren, allenfalls lokal, etwa Vertreter
der rechtsextremen PNOS
Partei, die sich aber 2022 aufgelöst hat. Sie habe in der
realen Politik nichts umsetzen können.
Viele der Ansichten der JT decken sich mit denen der Schweizerischen
Volkspartei (SVP), die in der Regierung zwei der sieben Bundesräte
stellt. Das Schaf auf dem Banner am Basler Bahnhofsdach ist eine
Anspielung auf die SVP, die das Schaf seit Langem als Motiv für
ausländerfeindliche Kampagnen nutzt. „Die JT spielt mit
Propagandabildern der SVP“, sagt Althof. Die SVP schweigt
dazu; sie fremdle mit der „Jungen Tat“, sagt Dirk Baier,
Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention
der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Zwar grenze sich die SVP grundsätzlich von rechtsextremen Gruppen
und von Gewalt ab, „aber diese Abgrenzung dürfte manchmal
auch etwas deutlicher sein“, findet Althof. Dafür nutzt
die SVP Aktionen der „Jungen Tat“ für sich: So
forderte sie nach der Störung der Dragqueen Lesungng, die finanzielle
Förderung der Stadt Zürich für die Kulturreihe einzustellen.
Baier stuft das Auftreten der „Jungen Tat“ als „durchaus
aggressiv“ ein. Mitglieder zeigen sich gern martialisch,
mal in Tarnkleidung, mal mit Fackeln und meist mit Sturmhauben mit
der Tyr-Rune darauf, einem Abzeichen der NSDAPReichsführerschulen.
„Sie spielen mit der Wirkung von bedrohlichen Bildern und
Ängsten“, sagt Experte Althof. Die Gruppe – fast
nur Männer – setzt auf Muskeltraining, ist naturverbunden
und wandertgern. Bei JT-Mitgliedern wurden schon Schusswaffen
sichergestellt, viele werden aber legal zu Hause aufbewahrt, Mitglieder
von Schützenvereinen dürfen das in der Schweiz. Es gibt
Kontakte der JT zu deutschen Rechtsextremen, auch zur Identitären
Bewegung. „Das Clevere“ an der Gruppe sei, sagt Althof,
dass „sie genau wisse, wo die juristische Grenze ist“.
Die ist teils anders gelagert als in Deutschland, so sind Hitlergruß
und Hakenkreuz in der Schweiz bislang nicht verboten.
Während der NS-Zeit gab es auch in der Schweiz faschistische
Gruppierungen wie die Nationale Front (NF). In Parlamenten war ihr
Erfolg gering, allerdings nahmen sie Einfluss auf die direkte Demokratie.
„In den 60er-Jahren war die Schweiz dann das erste Land in
Europa, in dem politischen Parteien mittels der Migrationsfrage
Politik betrieben“, sagt der Historiker Damir Skenderovic
von der Universität Fribourg. So lancierte Rechtspopulist
James Schwarzenbach von der rechtspopulistischen Splitterpartei
Nationale Aktion 1970 eine „Anti-Überfremdungsinitiative“;
300.000 Ausländer sollten die Schweiz verlassen. Mitte der
70er saßen immerhin drei frühere Mitglieder der Nationalen
Front, unter ihnen Schwarzenbach, im Nationalrat.
Am gewalttätigsten waren die 80erund 90er-Jahre. Neonazis
attackierten Asylsuchende. Es gab Tote. 1989 wurden in Chur vier
Tamilen bei einem Brandanschlag ermordet. „In der Schweiz
sind diese Taten völlig vergessen, es gibt dazu keinerlei Erinnerungsarbeit“,
kritisiert Skenderovic. Ab Mitte der 80er fielen Rechtsextreme mit
antisemitischer Propaganda auf, es gab Auftritte von internationalen
Holocaustleugnern, was erst seit
Inkrafttreten des Antirassismus-Gesetzes 1995 verboten ist. In den
2000ern tauchten Neonazis seltener auf, etwa am 1. August 2000,
dem Nationalfeiertag, beim Fest auf der Rütli-Wiese am Vierwaldstätter
See auf. 2016 trafen sich im Kanton St. Gallen bei einem Rechtsrock-Konzert
5000 Rechtsextreme aus ganz Europa.
„Das Problem ist, man weiß insgesamt so wenig über
den Schweizer Rechtsextremismus. Es gibt kaum Forschung dazu“,
ärgert sich Skenderovic. Der Nachrichtendienst, der Verfassungsschutz
des Landes, publiziert zwar jährlich einen Sicherheitsbericht,
aber auch da findet man wenig zum Thema Rechtsextremismus.
Siehe
auch:
nazifrei.org
Junge
Neonazis kletterten auf Basler Bahnhofsdach – aus der Region
kommt keiner
Ehemaliger
Präsident der SVP Buchs ist Mitglied der Neonazi-Gruppe Junge
Tat
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