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«Neonazis könnten auch künftig an Massnahmendemos mitlaufen»

Quelle: Der Bund – 25. Januar 2022

Mathias Streit


Herr Althof, am Samstag führte eine Gruppe Neonazis die Anti-Massnahmen-Demo in Bern an. Wie konnte es dazu kommen?

An und für sich ist das nichts Neues. In der Vergangenheit kaperten Radikale immer mal wieder Demonstrationen, indem sie sich an deren Spitze stellten. Trotzdem waren die Ereignisse vom Samstag ein Novum.

Wieso?

In der Schweiz bedienten sich bisher ausschliesslich Linksradikale dieser Taktik. So kaperten diese in der Vergangenheit schon mehrfach kurdische Demos. Dass Rechtsradikale diese Taktik anwenden, habe ich am Samstag in der Schweiz so zum ersten Mal gesehen.

Was war das Ziel der Neonazis in Bern?

Sie wollten sich Gehör verschaffen, als Gruppierung wahrgenommen werden. Dafür spricht auch ihr Auftreten: Indem sie mit Sturmkappen und aufgedruckten Runen-Abzeichen in der vordersten Reihe marschierten, wollen sie Leute beeindrucken und verängstigen.

Die Stadt Bern zeigte sich überrascht über den grossen Neonazi-Auflauf. Hat dessen Ausmass Sie auch überrascht?

Wir dürfen die Zahl der anwesenden Rechtsextremen nicht überschätzen: 30 bis 40 Personen sind wenig. Zumal diesen jegliche politische Relevanz fehlt. Rechtsextreme Gruppierungen fanden in der Schweiz in der Vergangenheit keinen Anklang. Dementsprechend sind sie primär ein polizeiliches, nicht ein gesellschaftliches Problem.

Die Junge Tat lief an der Demonstration vorneweg. Auch Mitglieder anderer rechtsradikaler Gruppierungen waren anwesend. Wer sind diese Leute?

Zur Jungen Tat zählen grob geschätzt 50 Personen aus der ganzen Schweiz und dem grenznahen Ausland. Deren Mitglieder zeigten sich in letzter Zeit oft öffentlich und versuchten so, Aufmerksamkeit zu erhaschen. Die Bedeutung der Jungen Tat ist jedoch klein: Die Gruppierung hat noch nicht realisiert, dass ihre Anliegen in der Schweiz keinen Anklang finden.

Wer waren die anderen Neonazis?

Soweit ich das beurteilen kann, waren das einzelne Mitglieder anderer Gruppierungen. Weil es innerhalb der Szene viele personelle Überlappungen gibt, lässt sich das aber nicht eindeutig sagen. Klar ist hingegen, dass das Ganze keine koordinierte Aktion mehrerer Neonazi-Organisationen war.

Wie verbreitet ist rechtsradikales Gedankengut unter den Massnahmengegnern?

Eine schwierige Frage. Die Gruppe der Demoteilnehmenden ist sehr heterogen. Wenn aber nicht zumindest ein Teil der Teilnehmenden den völkischen Ideen der Neonazis gegenüber offen wäre, hätten diese am Samstag kaum vorauslaufen können.

Kurz nach der Demonstration kursierte in den sozialen Medien ein Video, das die Rechtsradikalen in Bern zeigt. Welche Funktion haben solche Videos?

Damit soll ein bestimmtes Narrativ konstruiert werden. Die Bilder suggerieren einen breiten Rückhalt für die Anliegen der Rechtsextremen. Bloss: Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass es eigentlich sehr wenige Leute sind. Entsprechend wichtig ist, dass die Bedeutung solcher Gruppierungen in den Medien nicht zusätzlich aufgebauscht wird.

Welche Rolle spielen Demonstrationen als Ort der Rekrutierung für die rechtsradikale Szene?

Öffentliche Auftritte wie am Samstag können Aussenstehenden einen Anknüpfungspunkt zur rechtsradikalen Szene bieten und so Rekrutierungen zur Folge haben. Gleichzeitig gibt es einfachere Möglichkeiten, um miteinander ins Gespräch zu kommen, als wenn das Gegenüber vermummt und Parolen schreiend durch die Stadt marschiert. Das effektive Anwerben geschieht deshalb eher in einem ruhigeren Kontext.

Die linke Stadt Bern verfügt über eine grosse Antifa-Szene. Eine Neonazi-Demo wäre da normalerweise kaum möglich. Haben die Rechtsradikalen die Massnahmendemo als Tarnung für ihren Aufmarsch missbraucht?

Aus ihrer Sicht haben die Neonazis taktisch clever gehandelt: Sie waren überraschend da und konnten die Demo kapern. Damit hatte die Antifa offensichtlich nicht gerechnet. Ich vermute aber, dass ähnliche Aktionen so bald nicht mehr möglich sein werden.

Rechnen Sie mit Vergeltungsaktionen durch Linksradikale?

Die Antifa hat am Samstag aufgezeigt bekommen, dass ein Neonazi-Aufmarsch auch in Bern möglich ist. Entsprechend werden sie Ähnliches in Zukunft versuchen zu verhindern. Aus Perspektive der Sicherheitskräfte ist deshalb damit zu rechnen, dass Auseinandersetzungen in nächster Zeit wahrscheinlicher werden.

Abschlussfrage: Macht sich moralisch schuldig, wer mit Neonazis mitläuft?

Es kann immer passieren, dass eine Demo von Extremisten gekapert wird. Dann kann man den Teilnehmenden meiner Meinung nach wenig vorwerfen. Aber klar: Wer künftig an eine Anti-Massnahmen-Demo geht, muss sich bewusst sein, dass möglicherweise Rechtsextreme mitlaufen werden.

«Die Bedeutung der Jungen Tat ist klein.»


Samuel Althof Extremismusexperte

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