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Fachstelle Extremismus - und Gewaltprävention

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Medienanalyse


Ansprache von Samuel Althof zur Entgegennahme des Fischhof-Preis 2016 in Zürich

Laudatio von Georg Häsler
an Samuel Althof


Mit dem US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und mit Frauke Petry von der AFD in Deutschland ist die Radikalität in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Mein Thema aber ist die Hyper-Radikalität und deren Prävention.

Hyper-radikalisierte Menschen oder Extremisten „aller Couleur“ halten die Welt in Atem. Wir alle fragen uns: warum machen die das? Wie kann ein Mensch soweit kommen?

Natürlich ist jeder Fall einzigartig. Natürlich gibt es viele ursächliche Faktoren, die zu einer solchen Entwicklung beitragen können – die Zeit erlaubt es mir jedoch heute nicht, die volle Komplexität dieses Phänomens in allen Facetten zu beleuchten.

Aus meiner nun langjährigen Erfahrung gibt es bei Extremismus, Dominanz-Orientierung oder Hyper-Radikalität in vielen Fällen einen gemeinsamen Nenner, der viel zu wenig diskutiert wird. Das Verständnis dieser „Wurzel“, ich verwende dafür den Begriff Exklusion, ist zentral – auch für meine Arbeit. Dieses Verständnis öffnet mir Wege und zeigt mir auf, wie ich mit solchen Menschen in Kontakt treten und arbeiten kann. Deshalb möchte ich die Gedanken, die ich heute mit Ihnen teile, darauf fokussieren.

Radikalisierung ist oft Folge und Ausdruck einer jahrelangen Kette von Verletzungen oder Demütigung, die Menschen an den äussersten Rand ihrer persönlichen Existenz - aber auch an den ihrer Gesellschaft bringt.
Extremismus und Hyper-Radikalität sind als meist letzter Schrei eines Menschen zu verstehen, bevor dieser kompromisslos kapituliert und alle kommunikativen Bemühungen aufgibt. Der Schmerz, der durch jahrelange Ausgrenzung und Exklusion erzeugt wird, ist bereits chronifiziert. Er ist auch hirnorganisch nachweisbar, Stichwort: Neuroplastizität.

Der Schmerz ist so grundlegend und so heftig, dass manche für dessen «Heilung» bereit sind, alles zu opfert. Und so stehen wir heute im Visier von Hyper-Radikalisierten, die sich mit allen Mitteln der Gewalt an der Gesellschaft, deren Teil sie nicht mehr sind, rächen.

Exklusion geschieht nicht nur individuell, sondern auch strukturell: Ausgrenzung und Diskriminierung geschieht in der Schule, im Beruf, in der Freizeit, sie geschieht im politischen, im wirtschaftlichen aber auch im ideologisch oder religiös geprägten Leben – und oft in mehreren Bereichen gleichzeitig.
Ausschluss aus der Gemeinschaft ist die folgenschwerste Waffe einer Familie, eines Stammes, jedwelcher sozialen Körperschaft. Deshalb möchte ich auch sehr davor warnen, Muslime in diesem Zusammenhang als Gruppe unter Generalverdacht zu stellen und zu exkludieren.

Als Mensch und Jude weiss ich, welchen Schaden eine solche Ausgrenzung anrichten kann. Exklusion wirkt traumatisierend – mittelbar und unmittelbar –sogar transgenerational. Sie treibt Menschen in den Suizid oder anderweitig in den Tod – und sie kann Menschen dazu treiben, andere Menschen zu töten. Das Problem ist nicht neu- die Geschichtsbücher sind voller Beispiele.

Ich erlebe, wie Menschen als Folge der Exklusion ungeheure und schreckliche Energien und Kräfte entwickeln, wie Betroffene bei geöffnetem Blick gegenüber dem Leid von Anderen, erblinden.

Die Enthumanisierung ist die Basis der jetzt folgenden Gewalt. In ihrem pervertierten Selbstheilungsversuch, wieder Teil einer „Gemeinschaft“ zu werden, schrecken sie nicht davor zurück, ihr eigenes Leben oder das anderer – manchmal einer ganzen Gruppe, zu opfern.
Exklusion wirkt existentiell. Sie bedroht und schwächt den Menschen in seinem Fundament nachhaltig.
Die mit der Exklusion verbundene ansteckende, Angst führt zu Fehlinterpretationen, zum Ausblenden einer differenzierten Sicht. Der heutige Extremismus im Islam kann als epidemische Ausbreitung solcher Ängste verstanden werden.

Ausgegrenzte sind einfache Beute für «Heilsversprecher». Sie verlieren die kritische Distanz und werden leicht instrumentalisiert. Der Radikalisierungsprozess kann heute sogar weitegehend ohne menschliche Kontakte und alleine vor dem PC, in der Imagination einer Gemeinschaft erfolgen: Die sogenannte Selbstradikalisierung.

Für eine allumsorgende Gemeinschaft und deren Ideologie sind sie bereit, die Selbststeuerung abzugeben. Ausgeschlossene suchen Sicherheit, Struktur, klare Führer.

Es folgt eine krankhafte Regression in eine imaginäre Gemeinschaft. Nun heissen die Exkludierten: Jihadisten, Revolutionäre, Neonazis, Chaoten, militante Tierschützer oder Abtreibungsgegner und mehr. Es gibt nur noch die «einzige Wahrheit». Die neue Heimat gibt ihnen eine neue Identität.
Das alte Leben wird gegen ein „neues“ ausgetauscht. Anstelle der schmerzlichen Erfahrungen treten nun Dominanz und Radikalität. Das ist ein folgeschwerer «Tausch» mit sehr hohem Preis. Gefordert wird der Verzicht auf Selbstverantwortung, Selbstbestimmung und Autonomie, meist begleitet mit dem Verbot, Kontakt zur früheren Welt zu halten.
Diese Menschen schaffen sich so eine bestechend vielversprechende und scheinbar reine Vision ihrer Zukunft, unter der die neue Ideologie und die Gewalt heranwachsen.

Die „Erlösung“ von allen Widersprüchen, Unsicherheiten und Zukunfts-Ängsten funktioniert jedoch nur, wenn jegliche Verunsicherung schnellstmöglich unwirksam gemacht wird.

Mit den Worten der diesjährigen Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, Caroline Emcke:“… am Hass zweifelnd, lässt sich nicht hassen.“
In diesem Sog ist nun das Schlimmste möglich. Der Exkludierte fühlt sich in dieser scheinbaren Stärke sicher und geheilt. Er ist nun wieder Mitglied eines kosmologischen Wertesystems. Das versprochene Paradies ist jetzt da. Es wartet als Rassenreinheit, als unumstößlich gerechte Welt, als die Welt ohne Naturgewalt, als ¨national befreite Zone¨, es wartet als der einzig richtige Weg zum Guten und Rechten und ist die projizierte Auflösung allen Leidens, die sichere Hand des Gurus, des Führers, des von einem Gott Gesandten, es sichert die eigene Existenz und für dieses „Paradies“ bedarf es der Dämonisierung alles Anderen.

Damit entsteht die gefährlichste Lösung aller ¨Lösungen¨.

Nicht immer, hingegen, muss Exklusion bis zu all diesen Extremen führen. Ich beschäftige mich mit Überlebenden der Exklusion.
Für mich steht die Frage im Zentrum, wie verhindert werden kann, dass es für diese Menschen kein Zurück mehr gibt - also die Frage der Prävention.
Bevor ich mich nun für diesen wirklich großzügigen Preis bedanken werde, möchte ich Ihnen noch einen kurzen Einblick geben, was meine tägliche Tätigkeit, die Extremismus-Prävention und die Ausstiegshilfe, beinhalten.

Das Verständnis des Phänomens der Exklusion führte mich auch dazu, ExtremistInnen, z.B. im Islam, eben nicht nur als solche zu sehen. Ich gehöre auch nicht zu denen, die sich über tote Jihadisten freuen, genauso wenig, wie ich davon ausgehe, dass Rechtsextreme einfach nur gefährliche, antisemitische und rassistische Gewalttäter oder Pöbler sind, oder Linksextreme nur Staatsfeinde, Häuserbesetzer, Revolutionäre, Stalinisten oder Chaoten Pack.
Ich sehe Radikalisierte als Menschen mit ihren Verletzungen und Geschichten. Hier liegt mein Zugang.

Ziel einer jeden Begegnung ist für mich, meinem Vis à Vis einen Raum zur selbstkritischen Begegnung zu bauen, Vertrauen in unsere Arbeits-Beziehung, zu sich selbst - aber auch zum sozialen Umfeld wieder zu ermöglichen.

Über die Beziehung wird der Menschen erreicht und in selbstbestimmtem Denken und Handeln gestärkt. Damit verliert die Hyper-Radikalität mit der Zeit an Boden und Attraktivität. Bei meinen Klienten handelt es sich nicht um Personen mit irreversiblen psychischen Defektzuständen.
Ich versuche mit meinen KlientInnen eine Art Rück-Tausch. Dabei ist es wichtig, ihnen bereits in der ersten Begegnung einen Gewinn zu verschaffen. Dieser muss fühl- und erlebbar sein und ist als initiale Erfahrung für die weitere Arbeit von ausschlaggebender Bedeutung.

Ich begegne meinen Klienten und Klientinnen grundsätzlich mit Achtung und Respekt und wahre immer ihre Integrität. Mein Vorgehen ist nie investigativ, ganz egal mit welcher Vorgeschichte die Person auf mich trifft. Ich urteile nicht, ich akzeptiere, und dies ohne jegliche Bedingung. Damit eröffne ich ein Feld, das meine KlientInnen nicht oder nicht mehr kennen, welches sie aber als grundsätzlich soziale Wesen interessiert.

Ich frage nicht nach der Ideologie, nach der Religion oder nach der kriminellen Vorgeschichte. Ich frage: wie geht es Dir jetzt? und vielleicht nach dem warum.
Das ist meine operative Haltung, das sind meine ersten Schritte. Erhalte ich dann eine Antwort und beginnt das Gespräch, was bei Extremisten keine Selbstverständlichkeit ist, haben wir beide bereits Wichtiges gewonnen.

Mögliche Verbesserungen im Sinne von «quick wins» werden schnell fühlbar. Wie in vielen Prozessen der Aufarbeitung beginnt jetzt aber die noch viel schwierigere Arbeit. Denn erst jetzt kann die staunende Frage entstehen: Warum vertraue ich Dir - ich verstehe das nicht?
Sie sehen, die Arbeit kann sehr schnell, sehr tief in die Ursachen zur Entstehung des Symptoms «Radikalität» führen.

Hier noch eine kurze Skizze, was in den weiteren Schritten folgen kann: es stellen sich sozialarbeiterische und finanzielle Fragen, ebenso und gleichzeitig wie Fragen zur eigenen Identität, der Berufsfindung, der eigenen Familiengeschichte, der Migration und deren Ursachen, den vorgängig in der Familie erlebten Traumata, Fragen über Ursachen einer emotionalen Verwahrlosung und meist eine heftige Wut und Enttäuschung.

Nie diskutiere ich jedoch mit meinem Gegenüber über Ideologien oder Religion. Ich arbeite bewusst nicht mit der Technik der argumentativen Verunsicherung.
Die Prävention hat aber noch viele weitere Facetten und Gesichter. Ich spreche mit Schulpsychologen, Lehrern, Jugendanwälten, Schulsozialarbeitern und Ärzten, mit Sicherheitsverantwortlichen und Software Spezialisten. Mit den Nachrichtendiensten, den Anti-Terror Spezialisten, der Polizei und Elementen der staatlichen Repression; mit Politikern, mit Geistlichen, mit Verwaltern, und immer wieder mit Journalisten.

Ich habe aber auch mit Arbeitgebern und Lehrmeistern zu tun. Und natürlich bin ich im Kontakt mit Eltern, Tanten und Grossmüttern, mit Brüdern und Schwestern, und auch mit Unbekannten - direkt, am Telefon und im Internet.
Ich versuche jeden nur möglichen Faden und Kontakt zu finden, der meinen Klienten helfen kann, die gefährliche, Dominanz-orientierte Position aufzugeben. Ich «stricke» ein Netzwerk, für das es sich lohnt die «Lösung Paradies» fallen zu lassen. Aber ich muss auch warten können und dies manchmal sehr lange. Alle Beteiligten brauchen Mut und viel Durchhaltevermögen.

Das Vertrauen in eine – oft widersprüchliche – Welt muss neu erarbeitet werden. Vertrauen in eine Welt, die garantiert schon bald die nächste Hürde liefern wird, der wir aber jetzt mit breiterem Stand und mit mehr Zuversicht gegenüberstehen.
Ich bin bei all dem eigentlich nicht mehr als ein begleitender, mit-fühlender, mit-trauernder und sich mit-freuender Zeuge, der sagt: gib nicht auf, es lohnt sich, ich bleibe bei dir.

Eigentlich müsste ich hier erst mit meinem Bericht beginnen und Ihnen von den vielen Begegnungen wärend der letzten Jahre berichten, von dem ehemaligen Neo Nazi, der mitten in der Stadt seine Hakenkreuzfahne hisste, vom ehemaligen NPD Kader, dem Alkohol Kranken, der sich über Jahre in der NPD von unten nach oben prügelte und der sein Leben dem Wahn der arischen Rasse widmete, von dem ehemals viele Messer sammelnden rechtsextremen Metzger, der mich jüdischer Bastard nannte und im Haus seiner Mutter die Türrahmen wütend aus den Wänden riss. Oder dem ehemaligen Links Extremen, der plante, eine Reihe von Polizisten zu erschießen, indem er selbst zur Polizei aspirierte oder von dem an einer Psychose erkrankten Kenianer, der glaubte er sei Jude und müsse mit Boko Haram in den Krieg ziehen, oder von Gründern der Arischen Jugend, der PNOS und anderen Organisationen.

Ich würde Ihnen vom Jihadisten berichten, der als Vater seine zwei kleinen Kinder und seine Frau verliess, um in Syrien für das Kaliphat zu kämpfen, und bei dem ich es nicht mehr geschafft habe, ihn per Skype wieder mit seiner Familie zu verbinden und zu einer Rückkehr zu bewegen.

Es gäbe auch den albanischen dreizehnjährigen Jungen mit muslimischen und christlichen Wurzeln, dessen Schwester vor kurzem vergewaltigt wurde, und der sich nun zusehends radikalisiert. Bei meinem Schulbesuch in seiner Klasse schoss er wie ein Blitz auf mich los und begrüsste mich mit «Salam aleikum», bevor er seinem Lehrer auf die Brust schlug - bei ihm weiss ich jetzt gerade auch nicht weiter.

All diese Geschichten von Erfolg und Misserfolg müsste ich hier erzählen können, denn diese Menschen sind Teil dieses Preises und Teil meiner Arbeit.
Ich habe von ihnen gelernt, mit ihnen stehen zu bleiben, auch wenn der Wind noch so rau bläst. Ich habe von Ihnen gelernt, die dunkle Münze zu drehen und immer nach dem Vorteil des Nachteils zu suchen. Und ich habe gelernt, dass Gleichwertigkeit, Akzeptanz und das Mit-Fühlen des Schmerzes der Exklusion fast alle Tore öffnet, auch jene, von welchen wir nicht wussten, dass es sie gibt.

Diesen Preis heute zu bekommen berührt mich sehr, denn ich habe nicht viel mehr getan als das, was ich als Kind schon können musste: das Unmögliche zu denken, mich und andere dabei auszuhalten und zu wissen, dass es auch nach der Shoah eine bessere Welt gibt.

Ich dachte damals, sie beginne hinter dem nahen Hügel, dem Gempen Stollen; ich sah sie auch als 6-jähriger, wenn ich am weiten Meer stand und meiner Mutter zusah, die immer weiter und weiter schwamm, dorthin, wo man nicht sieht, wie das Meer den Himmel berührt, dort wo das beginnt, was ich nicht sehe und nicht verstehe.

Diese Suche ist bis heute Inspiration meiner Arbeit.
Dieser Preis hilft mir, meine Arbeit weiterzuführen. Die Gewissheit, dass sich mein Gegenüber auf mich verlassen kann und weiss, dass ich morgen noch für sie oder ihn da sein kann, ist existentiell.

In diesem Wissen haben meine Klienten eine Chance mehr, sich auf ihr Abenteuer - Rückkehr aus der Exklusion - einzulassen.

Jeder Mensch ist letztlich der alleinige Erklärer der von ihm gelesenen Bilder.

Ich bedanke mich, dass ich durch diesen Preis an diesen Erklärungen weiter arbeiten kann.


31.10.2016
Samuel Althof Kessler

 

Siehe auch:
Samuel Althof hilft Extremisten beim Ausstieg
«Sie schüchtern uns ein» Rechtsextreme Hetze gegen Prominente

 

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