Linksextreme
Kampfansage
Zürich · Strasse als Kampf-zone: Die Ausschreitungen
vom Freitagabend tragen die Handschrift des linksextremen revolutionären
Aufbaus, sagt ein Experte.
Kari
Kälin
Quelle: Neue Luzerner Zeitung 16.12.2014
Die
Zürcher Stadtpolizei spricht von einem «gut organisierten
Mob» und einem «Saubannerzug». In einem Communiqué
bezifferte sie gestern den Sachschaden, den die rund 200 Personen
am Freitagabend angerichtet haben, auf mehr als eine Million Franken.
Die Vandalen plünderten ein Juweliergeschäft und stahlen
Schmuck im Wert von mehr als 100 000 Franken. Sie fackelten Container
und Autos ab, schlugen Fensterscheiben ein und verletzten sieben
Polizisten. Möglicherweise tragen diese bleibende Augen- oder
Gehörschäden davon.
Die
Polizei verhaftete vier Personen im Alter von 20 bis 36 Jahren.
Der zuständige Staatsanwalt erliess einen Strafbefehl wegen
Landfriedensbruch, gegen zwei weitere Personen sind Ermittlungen
im Gang. Sie wurden aber aus der Haft entlassen, weil ihnen keine
konkrete Straftat zugeordnet werden kann. Ein Mann wurde von der
Polizei aus dem gleichen Grund bereits entlassen.
Gegen
den Kapitalismus
Wer
genau hinter dem Gewaltausbruch steckt, der unter dem Motto «Reclaim
the street» («Holt euch die Strasse zurück»)
und via SMS und in geschlossenen Internetforen organisiert wurde,
kann die Polizei noch nicht sagen. Ob es sich um Hausbesetzer handelt,
klärt sie ab. Recherchen unserer Zeitung zeigen, dass einige
der Vandalen sowohl in der Hooligan- als auch in der Linksextremistenszene
verkehren. Vieles deutet denn auch darauf hin, dass die Urheber
der Krawalle, die angeblich für Freiräume in der Stadt
kämpfen, in linksextremen Kreisen zu suchen sind. «Die
Art der Gewalt vom Freitagabend ist typisch für den revolutionären
Aufbau», sagt Samuel Althof. Althof leitet die Fachstelle
Extremismus- und Gewaltprävention in Basel und beobachtet die
extremistischen Szenen seit Jahren.
Der
revolutionäre Aufbau hat sich dem Kampf gegen den Kapitalismus
verschrieben. In der Flugschrift «Subversion» aus dem
Jahr 2010 ist von «kreativer Rückeroberung des öffentlichen
Raums» die Rede. Der Kampf um die Strasse sei «ein Kampf
um revolutionäre Gegenmacht». Das Kapital und der Staat
seien mächtig, aber auch angreifbar. Gewalt ist für den
revolutionären Aufbau «legitime Gegengewalt», die
Strasse die zentrale Achse ihrer Praxis. «Sie ist die Kampffront,
an der sich die einzelnen sozialen und politischen Kämpfe vereinigen»,
heisst es weiter.
Die
Ereignisse vom letzten Freitag haben Samuel Althof nicht überrascht.
«Das Gewaltpotenzial ist hoch, und wir müssen mit weiteren
Ausschreitungen rechnen», sagt er. Argumente – wie etwa
jene von überteuertem Wohnraum – müssten ernst genommen
und debattiert werden, auch wenn diese von Extremisten formuliert
würden.
Polizei
sind Hände gebunden
Im
Zürcher Kantonsparlament wurden die Ausschreitungen gestern
von links bis rechts verurteilt. Kritisiert wurde aber auch, dass
die Polizei lediglich vier Personen festnahm – und dass sie
nicht rascher reagierte. Der Zürcher Polizeivorsteher Richard
Wolff (Alternative Liste), der mit seiner Vergangenheit in der links-alternativen
Szene unter besonderer Beobachtung steht, verteidigte den Polizeieinsatz.
Es gehe primär darum, Menschen und Sachgüter zu schützen,
sagte er dem «Tages-Anzeiger». Selbstverständlich
sollten auch Verhaftungen erfolgen, dabei müsse die Polizei
aber die konkrete Gefahrensituation für andere und sich selber
kalkulieren. Ausserdem habe die Polizei den Ausschreitungen rasch
ein Ende bereitet.
In
Sachen Früherkennung sind der Polizei teilweise die Hände
gebunden: Auf geschlossene Internetforen hat sie von Gesetzes wegen
keinen Zugriff.
Gewaltbereite
Szene
Die
linksextreme Szene zählt in der Schweiz 3000 bis 3800 gewaltbereite
Personen. Zu dieser Schätzung gelangt der Nachrichtendienst
des Bundes im Bericht «Sicherheit Schweiz 2014». In
der Lageanalyse werden auch der revolutionäre Aufbau und Veranstaltungen
wie «Reclaim the street» erwähnt.
«Das
Gewaltpotenzial ist hoch, und wir müssen mit weiteren Ausschreitungen
rechnen.»
Samuel
Althof, Leiter Fachstelle Extremismus- und Gewaltprävention
Basel
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