Er suchte das Paradies und fand die Hölle
Thaibox-Champion Valdet Gashi wohl in Kobane getötet
Er hatte sich der Te rrormiliz IS angeschlossen
In Singen fragen viele: Wie konnte das geschehen?
Von Wolfgang Wissler, Margrit Hufnagel und Jürg Braun
Quelle: Südkurier, 08. Juli 2015
Dass sein Bruder Valdet tot ist, weiß Loni Gashi schon seit
einigen Tagen. Er hat geschwiegen, selbst seinen Eltern, dem jüngsten
Bruder und der Schwägerin, der Ehefrau Valdet Gashis, hat er
nichts gesagt. Er habe erst mal mit sich selbst klarkommen müssen,
erklärt Loni Gashi gestern. Er weiß, dass das Interesse,
auch das Medieninteresse an der Geschichte seines Bruders, des Thaibox
Champions, der für den IS in den Krieg
zog, riesig ist. Er wollte einen klaren Kopf haben, gefasst sein,
stark sein, wenn ab jetzt die Fragen auf ihn einstürmen. Am
Montag hat er der Familie die Todesnachricht überbracht, dann
auf Facebook gepostet: „Ruhe in Frieden mein Bruder.“
Loni Gashi
(28) sitzt in einem Imbiss Restaurant nahe des Singener Bahnhofs
und erzählt vom letzten Telefongespräch mit seinem Bruder
Valdet. Am Freitag, 26. Juni, sei das gewesen. Valdet habe ihm berichtet,
dass er von Manbij, seinem bisherigen Standort in Syrien, nach Kobane
ziehen werde, um bei der Evakuierung bedrohter Zivilisten zu helfen.
Er könne nicht länger zusehen, er müsse das tun.
Das Handy werde er zurücklassen und eine Weile ohne Internet
sein. Er wisse nicht, wann er zurückkehre aus Kobane. Er wisse
nicht, ob er zurückkehre. Die Aktion sei gefährlich. Falls
er nicht zurückkehre, werde sich jemand bei ihnen melden.
Ein paar Tage
später, so erzählt Loni Gashi, habe sich über Valdets
Handy ein ihm Unbekannter gemeldet und ihm mitgeteilt, dass der
Bruder tot sei. Er sei am 27. Juni bei einem US-amerikanischen Luftangriff
getötet worden. Auf Englisch berichtete der unbekannte Anrufer,
er selbst sei in nächster Nähe dabei gewesen, als die
Bombe fiel, am Tod Valdet Gashis könne es keinen Zweifel geben.
Die Leiche habe man
wegen der heftigen Gefechte nicht bergen können. Gashi habe
vor seinem Ende versucht, einen unter Beschuss geratenen Freund
zu retten. Der IS-Anrufer übermittelte Loni Gashi auch einen
Abschiedsbrief Valdets an seine Familie. Ob die Geschichte, die
Loni Gashi erzählt wurde, wahr ist, lässt sich kaum nachprüfen.
Manches klingt nach Helden-Propaganda, etwa, dass Valdet Gashi loszog,
um Zivilisten zu helfen, oder dass Gashis letzte Aktion die selbstlose
Rettung eines Freundes war. Loni Gashi, der Bruder, jedenfalls ist
nach wie vor überzeugt, der 29-jährige Valdet sei nicht
nach Syrien gereist, um Krieg zu führen. Er habe helfen wollen.
Der Tod des Bruders steht für ihn fest – „hundertprozentig“.
Dass Valdet Gashi seinen Tod vortäuschen könnte, aus welchen
Gründen auch immer, das hält er für undenkbar. Das
würde Valdet seiner Familie niemals antun. Für ebenso
ausgeschlossen hält er, dass Valdet Gashi den Tod gesucht habe:
„Er war kein Selbstmord-Kandidat.“
Dem SÜDKURIER
hatte Valdet Gashi erst vor wenigen Wochen ein Interview gegeben.
Darin schilderte er seinen Tagesablauf wie folgt: „Zur Zeit
kontrolliere ich am Euphrat entlang. Wir schauen nach Schmugglern,
die illegale Ware herbringen, zum Beispiel Zigaretten, Alkohol oder
Drogen. Dies ist hier komplett verboten. Noch dazu fahre ich durch
verschiedene Orte Patrouille. Wir achten darauf, wo man helfen kann
oder wo Gesetze gebrochen werden.“ Als Helfer inszenierte
er sich, als Menschenfreund, der das Leid in Syrien nicht länger
ansehen konnte. Obdachlose, Witwen und Arme würde er unterstützen,
alle Menschen würden sich im Kalifat mit Respekt begegnen.
Doch dass er keine Angst vor dem Tod hat und seine Erfüllung
im Paradies sieht, auch das machte er damals deutlich.
Und dennoch:
Eine offizielle Bestätigung für den Tod von Valdet Gashi
gibt es bislang nicht – weder vom Innenministerium in Stuttgart
noch auf den Plattformen des Islamischen Staates. So bleibt nur,
das mögliche Geschehen zu rekonstruieren. „Wenn Valdet
Gashi tatsächlich in Kobane dabei war, dann ist er höchstwahrscheinlich
tot“, sagt der Terrorismusexperte und Islamwissenschaftler
Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
„Trotzdem würde ich ihn erst mal auf den Fahndungslisten
stehen lassen.“ Todesnachrichten in den Reihen des IS seien
nur schwer zu verifizieren, selbst die Auskunft der eigenen Familie,
die sich ohnehin nie hätte vorstellen können, dass der
eigene Bruder, der eigene Sohn, der Ehemann für Terroristen
kämpft, sei hier mit Vorsicht zu genießen. Mit Blick
auf die Situation im Kriegsgebiet lässt sich allenfalls eine
Wahrscheinlichkeit ablesen. Tatsächlich hat es um den 26./27.
Juni heftige Kämpfe in der syrisch-türkischen Grenzstadt
Kobane gegeben, Kurden durchkämmten damals die Stadt nach versteckten
IS-Kämpfern. Die blutigen und verlustreichen Gefechte endeten
erst, als die Dschihadisten entweder getötet oder aus der Stadt
geflohen waren. Dass Gashi in die Grenzstadt Kobane gezogen ist,
ist durchaus möglich. Im Interview mit dem SÜDKURIER berichtete
er damals von seiner Arbeit als Grenzwächter in den Städten
Manbij und Jarabulus – die syrischen Orte am Euphrat liegen
keine 40 Kilometer von Kobane entfernt.
In seiner Heimatstadt
Singen sind die Reaktionen auf den Tod von Valdet Gashi durchwachsen.
Viele hatten gehofft, dass er sich vielleicht doch noch besinnt
und zurückkehrt. „Wir sind in Gedanken bei seiner Familie,
bei seiner Frau und seinen Kindern“, sagt Oberbürgermeister
Bernd Häusler. Öffentliche Statements sind ansonsten kaum
zu bekommen. „Was soll man da sagen?“, meint einer,
der ihn und seine Familie gut kennt. Auch in der Singener Sportwelt,
wo Gashi noch vor nicht allzu langer Zeit für seine Erfolge
feierlich geehrt wurde, ist man sprachlos. Die Hegauer Schriftstellerin
Ulrike Blatter, die öffentlich Gashi aufgerufen hatte, umzukehren,
zeigte sich betroffen. „Bitte helft den Angehörigen in
diesen schweren Stunden durch Euer Mitgefühl“, appelliert
sie.
Und sein Bruder Loni Gashi? Der hofft, dass die Geschichte jetzt
zu Ende ist. Jetzt, da sein Bruder Valdet tot ist. Dass die Familie
wieder zur Ruhe kommen kann. Den Bruder verurteilen will er noch
immer nicht: „Er ging davon. Die Audiobotschaft, die das ganze
Ausmaß des Terrors verdeutlichte, verbreitete sich vor etwa
einem Jahr, am29. Juni 2014,in Windeseile über das Internet.
Sprecher der sunnitischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS) brauchte
ein wenig, um zum entscheidenden Punkt zu kommen. „Die Sonne
des Dschihad ist aufgegangen“, triumphierte Mohammed al-Adnani
im singenden Ton- aus, dass es der richtige Weg war.“ Und
Valdet Gashi ist nicht der einzige, der den Pfad des Terrors beschreitet:
700 Islamisten aus Deutschland sind inzwischen in Richtung Syrien
und Irak gereist, 50 davon haben nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes
Kampferfahrung, 100sindums Leben gekommen –Tendenz steigend.
„Seit Anfang 2015 sind die Hinweise auf Todesfälle stark
gestiegen“, bestätigt eine Behördensprecherin. „Das
zeigt die brutale Realität des sogenannten ,Islamischen Staates’
(IS)“, sagte Hans-Georg Maaßen, Präsident des Verfassungsschutzes,
kürzlich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung. „Deutsche Dschihadisten werden von der Terrorgruppe
IS regelrecht verheizt.“ Aus Baden-Württemberg sind bislang
mehr als 40 Männer und Frauen in Richtung Syrien und Irak gereist,
um dort für dschihadistische Gruppen zu kämpfen, bestätigt
eine Sprecherin des Innenministeriums in Stuttgart gegenüber
unserer Zeitung. Von denen sind mindestens fünf ums Leben gekommen.
Ist Valdet Gashi also nur einer von vielen? Ja und Nein. Für
den Terrorismus Experten Steinberg ist er zumindest eine ungewöhnliche
Figur. „Er hat gezielt die Öffentlichkeit gesucht und
scheint für ein IS-Mitglied bemerkenswert undiszipliniert“,
sagt Steinberg. Ein Promi-Bonus für den Trophäen behangenen
Weltmeister? Das ist zumindest möglich. Als erfolgreicher Profisportler
war Gashi Identifikationsfigur vor allem für junge Männer
in der muslimischen Migrantenszene. Schweizer Medien berichteten
erst kürzlich, dass er über das Internet versucht haben
soll, junge Frauen aus Winterthur für den IS zu werben. Der
„Blick“ zitiert zwei junge Frauen: „Er ist bei
vielen Jugendlichen hier ein Held. Sie tragen dann plötzlich
Bart, geben Frauen nicht mehr die Hand, sprechen vom Heiligen Krieg.“
Steinberg wundert das nicht, Gashi sei vom IS bewusst mit Propaganda-Aufgaben
betraut worden. „Das könnte auch der Grund sein für
seine öffentlichen Stellungnahmen sein“, sagt Steinberg.
Dass Gashi die Rolle als Grenzgänger zwischen den Welten beherrschte
und das Klischee des aufrechten Kämpfers mit beeindruckender
Exzellenz zeichnete, zeigt sich immer wieder. Mit wem auch immer
man das Gespräch über den Singener sucht –in all
die Abscheu über sein Tun mischt sich immer auch Respekt.
Samuel Althofs
Stimme klingt bedrückt. Über Wochen hatte der Basler Extremismusexperte
den Kontakt zu Valdet Gashi gehalten, über den Nachrichtendienst
Whatsapp regelmäßig mit ihm diskutiert. Die Todesnachricht
lässt ihn ratlos, aber auch traurig zurück. „Das
ist vor allem ein schreckliches Drama für die Familie“,
sagt Althof. Dass Gashi in Kobane den Heldentod gestorben sein soll,
beim verzweifelten Versuch, Zivilisten zu retten, passt für
Althof einfach zu perfekt ins Propangada-Schema der Terror-Miliz,
die mit prominenten Märtyrern um Nachwuchs wirbt. Glaubt Althof
nicht an den Tod Gashis? „Ich glaube eigentlich gar nichts“,
sagt der Schweizer. „Was ich aber weiß, ist, dass Valdet
wirklich ein Mensch war, der anderen Menschen helfen wollte, der
aber am Ende in die komplett falsche Richtung gelaufen ist.“
Vielleicht ein Helfersyndrom, gekoppelt mit dem narzisstischen,
aber auch von der Familie befeuerten Wunsch, ein Held zu sein. Am
26. Juni chattete Althof das letzte Mal mit dem Thaiboxer, auf den
Tag danach wird sein Tod datiert. „Ich habe ihm immer wieder
geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Wenige Tage später
waren die Mails dann als gelesen’ markiert“, sagt Althof.
Ob doch von ihm selbst, oder von einem anderen IS-Kämpfer –
das lässt sich freilich nicht überprüfen.
Dass Gashi
tot ist, daran hat zumindest der rheinland-pfälzische FDP-Politiker
Tobias Huch keinen Zweifel. Der IS täusche keine Toten vor,
das sei ein Zeichen der Schwäche. Auch Huch ist einer derjenigen,
die über das Internet Kontakt zu Gashi suchten. Aus einem verbalen
Schlagabtausch über den IS erwuchs eine Debatte, in der Gashi
den Politiker vielleicht sogar ein bisschen beeindrucken konnte.
„Er war nicht die typische IS-Bestie, die man sonst kennt“,
sagt Huch. Der Mainzer kennt die Terror-Organisation, war schon
selbst vor Ort im irakischen Sindschar, verteilte Hilfsgüter,
fiel dort aber auch mit einer umstrittenen Video-Aktion auf, bei
der er eine Botschaft an den IS auf eine Rakete kritzelte. Über
Todesmeldungen von IS-Kämpfern freut sich Huch normalerweise.
Diesmal empfindet er anders. „Gashis Fall zeigt, dass es jede
Familie treffen kann, dass der beste Moslem in die Fänge des
Teufels geraten kann – weil diese Leute wissen, wie man manipuliert.“
Opfer seiner eigenen Naivität sei Gashi letzten Endes geworden.
Huch habe er berichtet, dass er jesidische Sklavinnen freilassen
wollte, dass es seine Pflicht gerade im Ramadan sei, diesen Menschen
zu helfen. Auch das ist aber eine Information, die mehr Fragen aufwirft
als beantwortet.
Vielleicht sei ihm gerade das zum Verhängnis geworden, vermutet
Huch, vielleicht sei es gar keine amerikanische Rakete in Kobane
gewesen, sondern die Hand eines IS-Kämpfers, die ihn ausschaltete,
weil er mit seiner Sklaven Rettung negativ auffiel. Beweise? Gibt
es nicht! Vielleicht eher ein Gefühl. „Er hat immer darauf
bestanden, dass er vor Ort nur helfen und nicht kämpfen wolle.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass er das ernst meint“,
sagt Tobias Huch. „Ich kenne viele IS-Kämpfer. Mit den
meisten enden die Gespräche mit Todesdrohungen an mich. Valdet
Gashi ist da herausgestochen.“
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