Der Neonazi-Flüsterer
Quelle: Die
Weltwoche; 09.08.2012; Ausgabe-Nr. 32;
Von Andres
Kunz
Am Sonntag trafen sich 200 Rechtsextreme zu einem angeblichen «Naziaufmarsch»
auf dem Rütli. Der Basler Extremismusexperte Samuel Althof
warnt davor, diese Leute zu dämonisieren. Man spiele ihnen
damit nur in die Hände.
In der Woche
vom 1. August, wenn andere die Lampions auspacken und sich mit Feuerwerk
eindecken, sitzt der Extremismusexperte Samuel Althof in seinem
Büro, er telefoniert, berät – und alle Jahre wieder
muss er sich ärgern: über «angebliche Fachleute»,
die den Rechtsextremismus «zur nationalen Gefahr heraufbeschwören».
Über Journalisten, die ihm «nicht richtig zuhören».
Und über Zeitungen, die «reisserische Artikel produzieren».
Auch diesmal
wurde Althof nicht verschont. Für den 5. August kündigte
20 Minuten einen «Naziaufmarsch» an, am letzten Sonntag
trafen sich dann tatsächlich 200 Rechtsextreme auf dem Rütli,
ganze Artikelserien erschienen darüber – Althof gab Auskunft,
analysierte und versuchte, die Journalisten davon abzuhalten, dem
Treiben die gewünschte Plattform zu geben. Vergeblich: «Übertriebene
Inhalte, falsche Analysen», bilanziert der Experte die Berichterstattung.
Seit bald zwanzig
Jahren schon befasst sich Althof mit dem Thema. Der Basler Jude
ist Leiter der Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention
(Fexx) und Gründer der Aktion Kinder des Holocaust (AKdH).
Vor allem aber ist Althof, 56, der Mann, der nicht nur im Büro
sitzt, sondern immer wieder den direkten Kontakt mit den Rechtsextremen
sucht, sich mit ihnen trifft und es schafft, die jungen Männer
und Frauen aus ihrem Umfeld zu holen und ihnen neue Wege aufzuzeigen.
«Diese Leute suchen Anerkennung. Man muss sie als Menschen
respektieren, statt sie zu dämonisieren.»
Zugestossen
ist ihm dabei noch nie etwas. Um seine Familie zu schützen,
will er sich in seinem Haus in Oberwil BL trotzdem nicht fotografieren
lassen. Althof sitzt in der Küche und erzählt von den
rund vierzig Rechtsextremen, die er von der schiefen Bahn gebracht
hat. Es handelt sich um junge Menschen aus allen Gesellschaftsschichten
– Maurer, Metzger, Schüler, Informatiker oder Logistiker
–, die fast alle denselben Hintergrund haben: ein absenter
Vater und eine überforderte Mutter. «Es sind immer sehr
ähnliche Geschichten», sagt Althof. Der Rechtsextremismus
sei dabei bloss «das Symptom für einen ganzen Strauss
von persönlichen Problemen». Ihnen fehle die «Existenzberechtigung»,
das grundlegende Vertrauen, «von der Welt gesehen und verstanden
zu werden». Deshalb die Provokationen zum 1. August,
deshalb die Fahnen und Kameradschaften in Verbünden wie Blood
& Honor. Es gehe dabei meist um Machtfantasien, sagt
Althof, und mit den reisserischen Berichten würden die Medien
diese nur «unnötig bestätigen». Denn der Grundsatz
der Szene sei einfach: «Ich wirke bedrohlich, also bin ich.»
«Punktuell
gefährlich»
Althof ist
ein sanfter Mann, und man kann es sich kaum vorstellen, wie er auf
einen persönlichkeitsgestörten Glatzkopf in Springerstiefeln
zugeht und das Gespräch sucht. Der erste Kontakt erfolgt denn
auch meist über Internet. Statt über Politisches diskutiert
er mit ihnen über ihr Wohlbefinden, ihre Freunde und Familie.
«Dann sind sie oft baff und werden neugierig.» Althof
macht ihnen ein Gesprächsangebot, und auch wenn es nicht immer
klappt mit seiner Therapie: «Rückfällig geworden
ist noch keiner meiner Klienten.»
Wollen Rechtsextreme
nur umarmt werden? Betreibt er damit nicht eine Verharmlosung der
gewaltbereiten Szene? Natürlich seien die einzelnen Umstände
immer sehr komplex, sagt Althof. Und «punktuell» seien
diese Männer auch «sehr gefährlich». Vor allem,
wenn sie sich in «programmatische Neonazis» verwandelten,
die sich in ihrer Ideologie verankert hätten. Dazu gehörten
schweizweit aber nicht mehr als «zwanzig Personen»,
schätzt Althof. «Von der rechtsextremen Szene geht sicher
keine Gefahr aus, die unseren Staat gefährdet.»
Es sind solche
Aussagen, die Althof bei anderen Extremismus- oder Rassismusexperten
unbeliebt machen. Der grüne Luzerner Politiker und Journalist
Hans Stutz oder
der Basler Historiker Georg Kreis befassen sich ebenfalls seit Jahren
schon mit dem Thema, aber im Gegensatz zu Althof lassen sie keine
Gelegenheit aus, um die finstere Drohkulisse aufrechtzuerhalten
und zu bewirtschaften – auch wenn rechtsextreme Übergriffe
seit Jahren rückläufig sind. Stutz scheue sich auch nicht
davor, mit den Extremisten der linken Berner
Antifa zu paktieren* – obwohl diese «viel gefährlicher»
seien, sagt Althof. «Linksextreme sind zahlreicher, besser
organisiert und konspirativer.» Vor allem aber seien
sie von ihrem Handeln derart überzeugt, dass Althof mit seiner
Präventionsarbeit «nur kleine Chancen hat».
«Beobachten
und bekämpfen»
Obwohl die
Finanzierung seiner Fachstelle auf «wackligen Beinen»
stehe, er keine staatlichen Zuschüsse erhält und jedes
Jahr von neuem um Geld kämpfen müsse, will Althof die
Extremisten weiter «beobachten, erklären und wenn
immer möglich: bekämpfen». Von den Medien wünscht
er sich, dass sie die Treffen auf dem Rütli oder anderswo als
das beschreiben, was sie seien: «ein ungemütliches Theater
verlorener Seelen».
Anm. FEXX
*Siehe auch die
Linksammlung bei Hans Stutz
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