Verlorener Sohn
Valdet Gashi, Thaibox-Weltmeister, leitete in Winterthur ein Trainingscenter.
Seine Familie glaubte, er fahre nach Thailand. Stattdessen schloss
er sich dem Islamischen Staat in Syrien an.
Quelle:
NZZ am Sonntag;
19.07.2015
Christine Brand (cbb)
Von Christine
Brand
Diese Geschichte erzählt von einem jungen Mann, der sich der
Terrororganisation Islamischer Staat anschloss und nach Syrien in
den Krieg gezogen ist. Es ist die Geschichte einer Verblendung,
eines verlorenen Sohnes, der nicht wiederkehren wird – und
einer Familie, die verständnislos zurückbleibt. Sie ist
eine von mittlerweile vielen Geschichten über fanatische Jihadisten;
eine gleicht der anderen, und doch ist jede verschieden. Diese hier
gehört Valdet
Gashi.
Es ist November
2014. Valdet Gashi, 28, ist etwas verschwitzt. Er trägt ein
grünes Sporttrikot und einen Bart, der knapp als Hipster-Bart
durchgehen mag. Ein Reporter befragt den Thaiboxer, will wissen,
was seine Pläne sind. Gashi strahlt in die Kamera, die Augen
hellwach. Er werde ab dem 15. November eine längere Pause einlegen,
sagt er. Sein zweites Kind komme zur Welt. Er wolle sich auf die
Familie und auf anderes konzentrieren, er gebe Trainings, Seminare.
«Ich brauche ein bisschen Ruhe.» Er lacht ein sympathisches
Lachen. Niemand ausser ihm weiss in diesem Moment, dass seine Pläne
ganz andere sind. Sie heissen: Islamischer Staat, Kalifat, Syrien.
Im Juni 2014, im Ramadan, hat er den Entscheid gefällt. Valdet
Gashis Ziel ist der Krieg.
Krebsliga und
Flüchtlingshilfe
21 Jahre früher
war es ein anderer Krieg, der bevorstand und der das Leben des sechsjährigen
Valdet Gashi verändern sollte. 1993, Vater Enver Gashi ist
Polizist unter dem Milosevic-Regime, dessen menschenverachtende
Politik er nicht tragen will. Er flüchtet aus Kosovo nach Deutschland,
um seine Familie in Sicherheit zu bringen. Stolz ist der Vater,
als der älteste Sohn dort seine ersten Wettkämpfe bestreitet;
Thaiboxen, Kickboxen. Valdet Gashi hat Erfolg. 152 Kämpfe wird
er absolvieren, er wird Deutscher Meister, zweimal Weltmeister.
Seine Heimatstadt Singen, gleich an der Schweizer Grenze, zeichnet
ihn mit einer goldenen Medaille aus. Später, als Valdet schon
weg ist, zeigt sein jüngerer Bruder Loni den Medien die Trophäen;
Zeugen einer kleinen Heldengeschichte, die nicht genügte. Valdet
Gashi, der ausser dem Sport nichts hat, der die Schule abgeschlossen,
aber keinen Beruf gelernt hat, will mehr. Und er will helfen. Er
absolviert Benefizkämpfe für die Krebsliga. Gemeinsam
mit dem Bruder arbeitet er in Singen in Workshops für Jugendliche
mit. 2014 reist er mit einer Hilfsorganisation aus Nordrhein-Westfalen
an die syrische Grenze, um Hilfsgüter zu verteilen. Der erste
Schritt raus aus seiner westlichen Welt, raus aus seiner Familie,
die in Singen gut verankert ist. Und die Religion? Die war bei den
Gashis nie Thema. Bis sie zur einzig bestimmenden Komponente in
Valdet Gashis Leben wird und ihn zum ideologisch verblendeten Fanatiker
macht. Sein Bruder sagt zur Zeitung «Südkurier»:
«Klar habe ich seinen Bart wachsen sehen, aber ich habe mir
nichts dabei gedacht.»
Es bleibt nicht
bei einem Bart. Valdet Gashi geht öfter in die Moschee, folgt
im Internet radikalen Hasspredigern. Im Januar 2014 macht er mit
bei der umstrittenen Missionierungsaktion «Lies» und
verteilt mit deutschen Salafisten auf der Strasse den Koran. Während
der Aktion gibt er vor einer Kamera freundlich Auskunft: «Ich
sehe es als meine Pflicht, mich mehr um meine Familie zu kümmern,
die Eltern, den Bruder mehr mit dem Islam in Kontakt zu bringen.»
Dabei ist er gerade daran, sich von der Familie zu entfernen. Im
Herbst 2014 setzt er seine Wettkämpfe aus, posiert vor der
IS-Flagge, schliesst Kontakte mit Salafisten in Winterthur, auch
in der An’Nur-Moschee im Stadtteil Hegi.
In Winterthur
spinnt Gashi seine Fäden: In einem Sportcenter auf einem grauen
Industrieareal gründet er eine Trainingsgruppe für strenggläubige
Muslime namens MMA Sunna. Frauen sind hier nicht erlaubt, auch keine
Musik, keine Schimpfworte. In seiner Gruppe trainieren andere Islamisten
aus dem Raum Winterthur, die den gleichen Weg gehen wie er: Sandro
alias Christian, 18, der von Wülflingen nach Syrien zog und
dort neben einer enthaupteten Leiche auf einem Bild posierte. Hajan,
der im Sommer 2014 abgereist und im Januar 2015 bei Kobane ums Leben
gekommen ist. Valdet Gashi bezeichnet ihn als seine «Kontaktperson».
Auch Visar, 16, soll im Trainingscenter verkehrt haben, bevor er
mit seiner 15-jährigen Schwester in den Jihad zog. Ob Valdet
Gashi selber andere rekrutiert hat, ist unklar. Zwei Frauen melden
sich später beim «Blick»: Gashi habe sie nach Syrien
locken wollen. Gegenüber seiner Familie sagt er kein Wort.
Alle glauben, er fahre nach Thailand, um dort zu trainieren, als
er die Koffer packt. Im Mai meldet er sich: Er sei in Syrien, er
habe sich dem Islamischen Staat angeschlossen. Bruder Loni sagt
kurz darauf in einem Interview mit der Sendung «Rundschau»:
«Ich bin in einer Art Zwickmühle, auf der einen Seite
bin ich sein Bruder, auf der anderen Seite finde ich nicht gut,
was er macht.»
Valdet Gashi
meldet sich auch selber zu Wort. Dem «Südkurier»
und der «Rundschau» gibt er ausführliche Interviews.
Er wirkt, als wolle er rechtfertigen, was er tut, er will für
das Unverständliche Verständnis wecken. «Ich möchte
helfen, weil die Muslime untereinander Geschwister sind.»
Das Helfen sei ihm am wichtigsten, und das Klären von Missverständnissen.
«Wie kann ich mit meiner eigenen Familie in Frieden leben
und meine Geschwister dort ignorieren?» Er meint, er habe
kein Blut an den Händen, er kämpfe nicht, er kontrolliere
am Euphrat Schmuggler. Er weiss um die unmenschliche Realität,
die Brutalität des IS – und er beschönigt sie, wo
er nur kann. Doch Gashi sagt ebenso: «Eines Tages wird der
Islamische Staat kommen, in der Schweiz anklopfen und sagen: Nehmt
den Islam an, dann müsst ihr nicht kämpfen. Wenn ihr aber
den Islam nicht akzeptieren wollt, dann ist Kämpfen unausweichlich.»
«Meine
Pflicht, hierherzukommen»
Zu Hause hofft
man auf seine Einsicht. Die Familie appelliert öffentlich an
ihn, er solle zurückkehren. Auch Samuel Althof von der Fachstelle
Extremismus und Gewaltprävention steht während Wochen
mit Gashi in Kontakt. Sein Ziel ist es, dass sich Gashi emotional
wieder mit seinem Zuhause verbunden fühlt. «Es muss ein
äquivalenter Wert zu seiner Ideologie entstehen, man muss entsprechende
Wertekonflikte herbeiführen», erklärt Althof. Gashi
lässt sich auf die Diskussion ein, die Nachrichten, die zwischen
den beiden hin und her gehen, füllen 70 Seiten. Doch Gashi
kennt keine Zweifel, oder er lässt sie nicht zu. «Valdet
Gashi war völlig ideologisiert», sagt Althof. «Er
war der Meinung, eine gute Sache zu tun, und ist dabei in einen
Wertekollaps geraten; er konnte nicht mehr erkennen, wie viel Leid
er produzierte, indem er Leid zu vermindern glaubte.» Laut
Althof sah Valdet Gashi auf der ganzen Welt nur noch das Leiden
der Muslime; dagegen wollte er sich wehren. «Es ist, wie wenn
man durch ein Haus läuft, und jede Tür, bei der man vorbeikommt,
knallt zu – bis nur noch die letzte Tür offen steht.
Geht man durch diese hindurch, führt der Weg in den Krieg nach
Syrien.» Als Samuel Althof Valdet Gashi fragt, wie er seinen
zwei kleinen Kindern das antun könne, schreibt dieser: «Die
Muslime leiden und werden bekämpft. Selbst wenn ich zehn Kinder
hätte und meine Frau alleine wäre, so wäre es meine
Pflicht, hierherzukommen.»
Am 25. Juni
schickt Valdet Gashi Samuel Althof ein letztes Bild. Ein Selfie.
Darunter schreibt er: «Der Junge will lernen, wie das Gewehr
funktioniert. Auf der anderen Seite des Euphrat geht es übrigens
ziemlich ab.» Zwei Tage später ruft jemand mit Gashis
Telefon dessen Bruder Loni an und vermeldet Valdets Tod. Es gibt
verschiedene Gerüchte, wie er umgekommen ist: bei einem US-Angriff
oder durch den IS selbst, der ihn eliminiert habe, weil er beabsichtigte,
Sklaven gegen Entgelt zu befreien. Bis Anfang Juli wurden Samuel
Althofs Nachrichten noch empfangen. Seither ist das Handy tot. In
einem seiner letzten Interviews sagte Valdet Gashi: «Ich möchte
leben, möchte meine Kinder wieder mal im Arm halten. Aber sollte
ich, wenn ich Gutes tue, sterben, dann bin ich natürlich froh
darüber.»
Selfie aus
Syrien: Das letzte
Bild, das Valdet Gashi in die Schweiz schickte: «Auf der anderen
Seite des Euphrat geht es ziemlich ab.» (25. Juni 2015)
Valdet Gashi
präsentiert seine Trophäen – vor der IS-Flagge.
12 tote Schweizer
Jihadisten
Christine Brand
(cbb)
Seit 2001 sind 66 Personen aus der Schweiz in den Jihad gezogen,
52 von ihnen reisten nach Syrien. Gemäss dem Nachrichtendienst
des Bundes (NDB) sind 12 Jihadisten gestorben, 10 sind in die Schweiz
zurückgekehrt. Diese Rückkehrer betrachtet der NDB als
grösste Bedrohung für die Schweiz. Seit 2015 ist ein Bundesgesetz
in Kraft, das die Beteiligung an einer Terrororganisation wie dem
IS verbietet. Im April wurde zum ersten Mal ein Jihadist vor der
Ausreise verhaftet.
NZZ am Sonntag
(zzs)
Gashi meint, er habe kein Blut an den Händen, er kämpfe
nicht. Er kennt die unmenschliche Realität, die Brutalität
des IS – und er beschönigt sie, wo er nur kann.
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