Hat das
Urteil Signalwirkung? (Zum Urteil des Bundesgerichtes zum
"Hitlergruss" vom 24.Mai 2014)
Alexander von Däniken
Quelle: Neue Luzerner Zeitung; 23.05.2014
Doc: Das
Urteil
Reporter
Alexander von Däniken über den Entscheid des Bundesgerichts,
wonach ein Hitlergruss nicht immer strafbar ist.
Ein
aktueller Entscheid des Bundesgerichts wirft hohe Wellen. Es geht
um einen Mann, der am 8. August 2010 an einer Veranstaltung der
Partei national orientierter Schweizer (Pnos) auf dem Rütli
teilgenommen hat – und während rund 20 Sekunden den rechten
Arm zum Hitlergruss hob. Diese Aktion ist nicht strafbar, urteilte
nun das Bundesgericht (Ausgabe von gestern). Damit korrigierten
die Bundesrichter ein Urteil des Urner Obergerichts, gegen das der
Mann Beschwerde erhoben hatte.
Wie
ist der Entscheid zu interpretieren?
Kern
des Bundesgerichtsurteils ist der Propaganda-Effekt, sagt Samuel
Althof, Experte für Rechtsextremismus und psychologischer Berater
aus Basel: «Der betreffende Mann hat den Hitlergruss als Teil
einer Gruppe an einer Veranstaltung der Pnos gemacht. Mit Propaganda
hatte die Aktion – so blödsinnig sie auch ist –
nichts zu tun.» Laut Strafgesetzbuch macht sich nämlich
strafbar, wer rassendiskriminierende Ideologie verbreitet. Das Bundesgericht
schliesst in seinem Urteil daraus: «Mit der Tathandlung des
‹Verbreitens› ist ein ‹Werben›, ein ‹Propagieren›
gemeint.» Und das sei nur möglich, wenn unbeteiligte
Personen gezielt auf die Propaganda aufmerksam gemacht werden.
Anders
ausgedrückt: «Ich mache mich strafbar, wenn ich in eine
Beiz gehe, auf den Tisch stehe und mit rassendiskriminierenden Worten
oder Gesten auf mich aufmerksam mache», sagt Althof, der –
selbst Jude – von einem korrekten Urteil spricht.
Anders
als beim Pnos-Anlass auf dem Rütli, der unter Gleichgesinnten
stattfand, seien also rassendiskriminierende Gesten und Äusserungen
an öffentlichen und auch halböffentlichen Orten, wie etwa
Sportstadien, nach wie vor nicht erlaubt. Auch Rassendiskriminierung,
die sich direkt an Personen richtet – etwa an einen jüdischen
Rabbi – ist verboten.
Was
ändert sich jetzt?
Das
Bundesgericht hat mit dem Entscheid Klarheit geschaffen. Und zwar
bei der Auslegung von Artikel 261 des Strafgesetzbuches. Dort heisst
es unter dem Titel Rassendiskriminierung unter anderem: Wer öffentlich
Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder
Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion
gerichtet sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Geldstrafe bestraft. Dasselbe gilt bei Personen, die öffentlich
durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder
in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen
ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde
verstossenden Weise herabsetzen.
Das
ist weiterhin gültig. Und bedeutet im Umkehrschluss auch: Wer
im privaten Rahmen den Hitlergruss verwendet, hat keine juristischen
Konsequenzen zu befürchten.
Welche
Wirkung hat das Urteil auf die rechtsextreme Szene?
Noch
sind keine Reaktionen aus der Szene bekannt. Laut Samuel Althof
bestehe durchaus die Gefahr, dass rechtsgerichtete Gruppierungen
das Urteil als Freipass auffassen und vermehrt die Öffentlichkeit
suchen: «Sollte das Urteil Signalwirkung haben, wäre
das verheerend.» Allerdings hätte auch eine Verurteilung
nichts gebracht: «Dann wäre eine einzelne Person bestraft
worden, auf die Szene selbst hätte dies keinen Einfluss gehabt.»
Was
bedeutet das Urteil im Umgang mit Rechtsextremen?
Samuel
Althof wertet das Urteil als Bestätigung einer liberalen Gesetzesgrundlage,
welche die Meinungsfreiheit als hohes Gut gewichtet. Rechtsextremismus
sei nicht tragbar, «aber mit juristischen Mitteln allein kann
dagegen nicht vorgegangen werden, sondern nur im Zusammenspiel mit
Prävention».
Ist
der Rassendiskriminierungsartikel zu lasch?
Für
diese Frage ist der Gesetzgeber verantwortlich, also das nationale
Parlament. Fakt ist: Am 29. April 2004 hat die Rechtskommission
des Nationalrats mit einer Motion einen zusätzlichen, schärferen
Gesetzesartikel verlangt. Nach diesem neuen Artikel soll auch mit
Busse bestraft werden, wer rassistische Symbole wie den Hitlergruss
nur schon öffentlich verwendet. Nach der Vernehmlassung schlug
der Bundesrat dem Parlament am 30. Juni 2010 allerdings vor, auf
den zusätzlichen Artikel zu verzichten. Die Räte nahmen
den Vorschlag an. Es gab im Parlament auch Versuche, den Rassendiskriminierungsartikel
abzuschaffen oder abzuschwächen. Letzteres forderte kürzlich
Oskar Freysinger (SVP). Seine Motion wurde vom Nationalrat abgelehnt.
alexander.vondaeniken@luzernerzeitung.ch
©
20 minuten online; 21.05.2014
Hitlergruss bleibt unbestraft: «Rechtsextremen spielt
das Urteil in die Hände»
Das Bundesgericht bestraft einen Mann nicht, der den Hitlergruss
auf dem Rütli machte. Experten sind enttäuscht: Das Urteil
sende ein gefährliches Signal an Rechtsextreme aus.
Ein Rechtsextremer macht den Hitlergruss auf dem Rütli –
und wird dafür nicht bestraft. Das Bundesgericht hat in einem
Urteil einen vorinstanzlichen Schuldspruch aufgehoben. Grund: Der
Mann habe mit seiner Geste nur seine Gesinnung kundgetan und damit
nicht andere für das nationalsozialistische Gedankengut zu
gewinnen versucht.
Was für
den Laien zunächst nur schwer nachvollziehbar ist, überrascht
Fachleute nicht. Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der Eidgenössischen
Kommission gegen Rassismus (EKR) sagt zu 20 Minuten: «Wir
sind zwar enttäuscht über das Urteil, aber nicht erstaunt.
Es wertet die freie Meinungsäusserung sehr hoch.» Das
Urteil bedeute aber nicht, dass der Hitlergruss nun erlaubt sei,
nur weil er nicht strafbar sei.
Sabine Simkhovitch-Dreyfus,
Vizepräsidentin des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds,
sagt grundsätzlich: «Der Hitlergruss, der stellvertretend
für eine besonders abscheuliche, rassistische Ideologie gezeigt
wird, sollte nie erlaubt sein.» Doch auch sie erstaunt das
gefällte Urteil nicht. «Wir beobachten auch bei den anderen
Urteilen zu diesem Thema, dass das Bundesgericht eine restriktive
Auslegung der Strafnorm vornimmt.»
Strafanzeigen
als falsches Mittel
Für
Samuel Althof von der Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention
hätte der Mann, der den Hitlergruss zeigte, gar nie angezeigt
werden sollen. «Strafanzeigen allein sind oftmals ungeeignete
Mittel, um Rechtsextremismus zu bekämpfen.»
Diese müssten
mit grosser Sorgfalt, Zurückhaltung und Sachkenntnis angewendet
werden. Die unvorsichtige Handhabung der Strafnorm sei kontraproduktiv
und das Urteil spiele den Rechtsextremen in die Hände.
Althof erklärt:
«Ich darf zum Beispiel zu Ihnen sagen, dass ich den Hitler
toll finde – aber ich darf in einer Beiz nicht auf den Tisch
stehen und es sagen, wenn ich die anderen Gäste nicht kenne.»
Im beurteilten Fall sei der Hitlergruss für das Urteil nicht
entscheidend gewesen, sondern der juristische Massstab sei der Begriff
der Öffentlichkeit und Werbung gewesen.
EKR-Präsidentin
Martine Brunschwig Graf: «Der Hitlergruss ist immer inakzeptabel,
in welchem Zusammenhang er auch gemacht wird.» Durch das Urteil
werde ein Signal in die rechtsextreme Szene gegeben, welches kein
gutes sei. «Das erschwert unsere Präventionsarbeit.»
(num)
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