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Medienanalyse


Wie gefährlich sind die Winterthurer Islamisten?
Die Strafverfolgungsbehörden wehren sich gegen den Vorwurf, Verfahren zu verschleppen
Fabian Baumgartner (fbi)
Quelle: Neue Zürcher Zeitung; 24.11.2015

Bereits mehrere junge Leute sind aus Winterthur nach Syrien gereist und haben sich dem Islamischen Staat angeschlossen. Trotzdem beteuern die Behörden, genug für die Terrorismusbekämpfung zu tun.

Fabian Baumgartner, Nadine Jürgensen, Florian Schoop
Ressourcenmangel und Kompetenzgerangel: Der Journalist und Syrien-Kenner Kurt Pelda spart in der jüngsten Ausgabe der «Weltwoche» nicht mit Kritik an den Schweizer Strafverfolgungsbehörden. Im Zusammenhang mit dem Winterthurer Jihadismus-Phänomen im Umfeld der An'Nur-Moschee im Quartier Hegi mangle es beim Bundesamt für Polizei (Fedpol) an deutschsprachigen Ermittlern, weshalb Strafverfahren verschleppt würden. Von einem koordinierten Vorgehen gegen die dortigen Hassprediger sei wenig spürbar.

Während die Behörden nicht von einem jihadistischen Hotspot in Winterthur reden wollen, spricht Pelda von einer «Zelle des Islamischen Staats». «Das ist eine Gruppe von Hasspredigern, die aus Nordafrika, dem Balkan und dem Nahen Osten stammen», erklärte Pelda vergangene Woche (NZZ 18. 11. 15). Dabei handle es sich eher um ein chaotisches Netzwerk charismatischer Prediger als um eine straff organisierte Gruppe. Trotzdem: Die Leaderfiguren im Umfeld der An'Nur-Moschee seien radikal und predigten den Hass auf die Schweiz, die Demokratie und Andersgläubige, so der Kriegsreporter.

«Naives Unwissen»

Die Kritik Peldas lässt das Bundesamt für Polizei nicht auf sich sitzen. Die Aussagen in der «Weltwoche» seien nicht fundiert, heisst es auf Anfrage. Man habe genügend deutschsprachige Ermittler. Zudem sei die Behörde von dem Blatt nie für eine Stellungnahme angefragt worden. Pelda wirft der Fedpol-Chefin Nicoletta della Valle zudem «schockierend naives Unwissen» vor, weil sie kürzlich in einem Interview mit der NZZ erklärte, die Radikalisierung erfolge über das Internet und nicht über Hassprediger. Diesen Vorwurf weist das Fedpol zurück. Die 33 Strafverfahren mit Bezug zu islamistischem Terror zeugten davon, dass die Sicherheitsbehörden die Terrorismusbekämpfung sehr ernst nähmen. Die Verfahren richten sich vor allem gegen Jihad-Reisende. Ermittelt wird aber auch wegen Propaganda für den Islamischen Staat. Zu den Winterthurer Fällen wollte sich die Behörde jedoch aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äussern. Sowohl Bundesanwaltschaft als auch Fedpol betonen dafür die gute Zusammenarbeit.

Auch Extremismus-Experte Samuel Althof kritisiert die Aussagen Peldas. In Winterthur gebe es keine Terrorzelle. «Dies ohne Beweise öffentlich zu behaupten, ist Unfug oder gar Schreckung der Öffentlichkeit.» Aussagen verschiedener Prediger in der Moschee seien zwar extrem. «Solche Äusserungen machen jedoch noch keinen Terroristen.» Konkrete Hinweise auf terroristische Absichten gebe es jedenfalls nicht. Mit Alarmismus richte man grossen Schaden an. Althof stand in Kontakt mit dem Thaiboxer Valdet Gashi und einem jungen Winterthurer Jihad-Reisenden. Für Aufsehen sorgte besonders der Fall des zweifachen Thaibox-Weltmeisters aus dem deutschen Singen, der in Winterthur ein Kampfsport-Center betrieben hatte. Die beiden Männer sollen laut bisher unbestätigten Meldungen in Syrien ums Leben gekommen sein. Gashi wurde verdächtigt, weitere junge Männer für den Islamischen Staat rekrutiert zu haben. Im Frühjahr konnten die Behörden einen jungen Mann aus der Nähe Winterthurs gerade noch vor der Ausreise stoppen. Gegen ihn läuft ein Verfahren. Insgesamt sind mindestens sechs Männer und eine junge Frau von Winterthur nach Syrien gereist. Alle sollen zuvor in der An'Nur-Moschee verkehrt haben.

Besuch von der Polizei

Der Präsident des Vereins An'Nur streitet die Vorwürfe ab, wonach sich in dessen Moschee eine Terrorzelle bildete. Radikale Prediger würden weggeschickt; einem Mann habe man bereits Hausverbot erteilt. Seit Samstag werden in der Moschee laut einem Bericht des «Landboten» Ausweiskontrollen durchgeführt. Zudem müsse immer ein Mitglied des Vereinsvorstandes anwesend sein, um den Austausch von Extremisten in kleinen Zirkeln zu vermeiden. In der vergangenen Woche fand ein Gespräch zwischen dem Kulturverein und der Fachstelle «Brückenbauer» der Kantonspolizei Zürich statt. Diese pflegt laut eigenen Angaben Kontakte und Beziehungen zu anderen Kulturkreisen. Genauere Angaben zu den Gesprächen wollte die Polizei auf Anfrage keine machen. Aber man sehe zurzeit keinen Handlungsbedarf, die bestehende Praxis zu ändern. Die bereits geführten Gespräche bezeichnet eine Sprecherin als «konstruktiven Austausch».

In der gleichen Zeitung wird von einem weiteren Jihad-Reisenden berichtet. Ein 32-jähriger Mann soll demnach schon vor drei Jahren nach Syrien gereist sein. Der Deutsche mit kosovarischen Wurzeln wohnte zuvor in Oberwinterthur und verkehrte im Umfeld der An'Nur-Moschee, bis er eines Tages verschwand. Die Familie geht davon aus, dass der ehemalige Soldat der deutschen Bundeswehr in Syrien umgekommen ist.

Plötzliches Schweigen

Zudem berichtete die «NZZ am Sonntag» von Geldprämien, die in Winterthur von radikalen Muslimen an junge Frauen abgegeben werden, wenn sie sich mit einem Nikab bedecken. Die Zeitung bezog sich dabei auf den Winterthurer SP-Politiker Blerim Bunjaku. Nach seinen Angaben beträgt die jeweilige Belohnung 200 Franken und mehr; das Geld scheine in grossen Summen vorhanden zu sein.

Bunjaku startete einen Aufruf an die Moscheen und Kulturvereine der Region. Demnach soll bei allen Gebetsstunden ein Vorstandsmitglied präsent sein, um Hasspredigten und das Werben für den sogenannten Jihad zu verhindern. Zudem gründete er zur Verhinderung von Radikalisierungen den Verein «Fair Winti». Am Montag wollte sich Bunjaku gegenüber der NZZ nicht mehr zu dem Thema äussern. Man werde zu gegebenem Zeitpunkt über den Stand der Projekte informieren.

Siehe auch: Kurt Pelda bei Twitter

 

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