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Medienanalyse


«Anzeichen einer Radikalisierung kann jeder erkennen»
Martin Wilhelm
Quelle: Tages-Anzeiger; 28.02.2015

Die Jihadismus-Taskforce will Polizisten für die Erkennung von sich radikalisierenden Muslimen «sensibilisieren». Extremismus-Experte Samuel Althof hält dies für sinnvoll, fordert aber weitere Massnahmen.

Der Nachrichtendienst des Bundes will die Polizisten einspannen, um künftig mehr Hinweise über sich radikalisierende Muslime zu erhalten. Dies geht aus dem ersten Bericht der neuen Jihadismus-Taskforce des Bundes hervor. Als erste Massnahme dazu haben die Behörden eine Informationsbroschüre erarbeitet und an die Polizeikorps verteilt, in welcher Indizien für eine Radikalisierung aufgelistet sind. «Jeder Schweizer Polizist sollte in der Lage sein, solche Anzeichen festzustellen», heisst es in dem Bericht.

Darüber hinaus denken die Behörden darüber nach, auch andere Behörden wie Arbeitsämter, Migrationsorganisation und soziale Dienste zu «sensibilisieren». Nach dem Vorbild von Frankreich und Deutschland könnten die Behörden auch eine Hotline einrichten, über welche die Polizei Hinweise auf Fälle von Radikalisierungen melden kann, schreibt die Taskforce in dem Bericht weiter, verweist aber darauf, dass eine solche Hotline viele irrelevante Hinweise generieren würde und die nötigen Kapazitäten dafür zurzeit nicht vorhanden wären.

Samuel Althof führt in Basel die private Fachstelle für Extremismus- und Gewaltprävention Fexx. Er arbeitet seit vielen Jahren mit Personen aus den rechts- und linksextremen Szenen und seit jüngerer Zeit auch mit Muslimen, die extreme Tendenzen zeigen. Althof hält eine Sensibilisierung der Behörden grundsätzlich für sinnvoll, warnt aber davor, Muslime in eine Verdachtssituation zu bringen und die Prävention ausser Acht zu lassen.

Herr Althof, wie erkennen Sie, dass sich jemand radikalisiert? Wenn jemand plötzlich neu Gebetszeiten einhält, andere Kleidung trägt oder sich einen Bart wachsen lässt, sein soziales Umfeld sich stark verändert, er sich in der Familie nicht mehr eingliedert und den Eltern plötzlich vorwirft, ungläubig zu sein, dann kann man davon ausgehen, dass dies Anzeichen einer Radikalisierung sind. Dasselbe gilt, wenn eine Person ihr Verhalten im Internet ändert und nur noch islambezogene Avatare verwendet, keine Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke mehr entgegennimmt, Andersgläubige als weniger wert bezeichnet oder Homosexualität als schlecht oder krank wertet.

Die Jihadismus-Taskforce des Bundes fordert, dass jeder Polizist in der Lage sein sollte, Anzeichen einer Radikalisierung festzustellen. Ist dies realistisch? Ja, denn Anzeichen einer Radikalisierung kann im Prinzip jeder erkennen. Es ist deshalb sicher sinnvoll, wenn die Polizisten darauf sensibilisiert sind. Allerdings braucht es genügend Nähe, um einen Einzelfall beurteilen zu können. Ich betreue zurzeit eine Person, die in der zweiten Generation in der Schweiz lebt. Ihre Eltern vertreten eine sehr ablehnende Position gegenüber der Religion, sie selber wurde in der Pubertät aber religiös. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend eine Radikalisierung in Richtung Islamischer Staat. Da muss jemand über eine gewisse Zeit hinweg immer wieder genau hinschauen, um das eine vom anderen zu unterscheiden.

Der Nachrichtendienst nimmt mit Muslimen, die Anzeichen einer Radikalisierung zeigen, zum Teil Kontakt auf. Ist der Nachrichtendienst dafür die richtige Institution? Es gibt beim Nachrichtendienst sicher Personen, die genügend nahe an einem entsprechenden Umfeld sind und genügend Einfühlungsvermögen aufbringen. Ein Nachrichtendienst ist von seiner Struktur und Aufgabe her gesehen kein psychosoziales Präventionstool. Er kann aber im Einzelfall auch eine präventive Wirkung haben. Grundsätzlich müsste die Prävention jedoch von den islamischen Organisationen selber gemacht werden. Was diesen fehlt, ist eine funktionierende Sozial- und Jugendarbeit.

Woher könnte der Anstoss dazu kommen? Der Anstoss dazu könnte von vielen Seiten her kommen. Meine Erfahrung ist, dass die muslimischen Gemeinschaften sehr offen sind und sich auch helfen lassen. Sie hätten auch ein Interesse daran, zu ihren eigenen Kids zu schauen. Allerdings sind sie in den seltensten Fällen so begütert, wie man glaubt, dass sie es wären. Die Jugendlichen brauchen geistige und reale Räume – am Ende auch so banale Sachen wie einen Töggelikasten oder eine eigene Videothek.

Die Behörden erwägen, eine Hotline für Hinweise über sich mutmasslich radikalisierende Muslime einzurichten. Halten Sie das für eine gute Idee? Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich glaube, dass man damit vermutlich ein Datenvolumen kreiert, das am Ende nicht verarbeitet werden kann. Eine Hotline könnte Muslime in eine Verdachtssituation bringen und bei diesen Misstrauen und Angst bewirken. Damit hätten wir einen wichtigen Partner verloren. Womöglich würde man so mehr Probleme als Lösungen schaffen. Man muss auch sehen: Wo sich heute in Moscheen Radikalisierungstendenzen zeigen, dauert es nicht lange, bis dies jemand der Polizei meldet. Eine Hotline zwecks Denunziation erachte ich deshalb eher als schwierig. Eine Hotline, die Betroffenen im Umgang mit diesen Fragen hilft, würde ich aber begrüssen.


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