«Hasstexte sind oft Ausdruck fehlender Frustrationstoleranz»
Quelle: TagesWoche; 23.05.2014
Jeremias Schulthess
Wenn einer auf
Facebook gegen den Islam wettert, ist er noch kein Nazi. Samuel
Althof über seine Arbeit mit Rechtsradikalen, die er aus dem
braunen Sumpf holen will.
Wo andere keine
Hoffnung mehr sehen und entsetzt wegschauen, geht er hin und beginnt
mit seiner Arbeit. Samuel Althof trifft Rechtsextreme, um ihnen
den Ausstieg zu ermöglichen. Seit annähernd 20 Jahren
beschäftigt sich der psychologische Berater und Psychiatriepfleger
mit Extremismus – links, rechts, religiös. Er leitet
die «Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention»
(fexx), die aus der «Aktion Kinder des Holocaust» hervorging.
Die Weltwoche betitelte ihn einst als «Neonazi-Flüsterer»,
andere nennen ihn «Nazi-Versteher». Seine Arbeit sorgt
immer wieder für Aufsehen
Wie tickt einer,
der auf Facebook schreibt: «Islam muss ausgerottet werden»?
Das ist sehr
unterschiedlich. Man muss jede Geschichte individuell anschauen.
Ich finde, man muss grundsätzlich differenzieren: Es gibt Personen,
die programmatisch ihre rechtsextremen Ideologien verbreiten, und
andere, die spontan in Foren ihren Frust loswerden wollen und sich
dann in rechtsextrem erscheinenden Wortmeldungen ereifern.
Geht es demnach
um Provokation?
Das kann so
sein, ist aber nicht immer der Fall. Wenn es um politische Fragen
geht, ist oft wenig Verständnis für die Gegenseite vorhanden.
Den Autorinnen und Autoren solcher Hass-Texte fehlt oft eine gewisse
Erfahrung und Frustrationstoleranz, die es im politischen Diskurs
einer Demokratie immer braucht.
Und wie helfen
Sie jemandem, der solche Probleme hat?
Auch das kann
man nicht pauschal fassen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ich traf
einen jungen Erwachsenen, der familiäre Probleme hatte. Sein
Vater war schon in fortgeschrittenem Alter, etwa 70 glaube ich.
Der 19-Jährige war im Netz ausserordentlich aggressiv unterwegs
und hatte auch schon einige Straftaten begangen. Das familiäre
Klima war von grosser Distanz und Kälte geprägt, unter
welcher der junge Mann unbewusst litt. Er konnte seine Eltern nur
noch mit äusserst wirksamen Provokationen, eben als Rechtsextremer,
erreichen.
Und welche Rolle
spielten Sie?
Nachdem ich
ihn auf seine Defizite ansprechen konnte, begann er diese auch seinen
Eltern gegenüber zu formulieren. Er erkannte, dass die rechtsextreme
Provokation ein pervertierter Selbstheilungsversuch war, der in
jedem Fall nur in die Irre führen konnte. Ein innerfamiliärer
Dialog begann und die Provokationen mit Rechtsextremismus wurden
wie von selbst uninteressant. Ein langer Prozess von Trauer, aber
auch von freudiger Wärme begann und die Familie lernte sich
neu kennen.
«Oftmals
zehren antifaschistische Gruppierungen von ihrem Feindbild. Ohne
die Rechtsextremen hätten sie keine Existenzberechtigung.»
Rechtsextreme
Äusserungen sind also Symptome für tiefergreifende Probleme?
Ja, das ist
oft so. Es gibt aber auch programmatische Rechtsextreme, da funktioniert
die psychosoziale Arbeit nicht. Es handelt sich dann um in sich
abgeschlossene Gedankengebäude und Ideologien, mit denen sich
eine Person nach aussen abschliesst und für meine Arbeit unerreichbar
wird. Programmatischer Extremismus kann mit psychosozialen Massnahmen
in der Regel nicht oder nur sehr schwer aufgearbeitet werden.
Ihnen wird vorgeworfen,
Sie seien ein «Nazi-Versteher», weil Sie sich auf rechtsextreme
Täter einlassen und diesen helfen wollen. Was sagen Sie dazu?
Jemand, der
das sagt, benutzt Feindbilder, und die sind meiner Meinung nach
nur punktuell nützlich. Feindbilder haben die Funktion, eine
schnelle Orientierung zu ermöglichen. Während des Krieges
war das sehr wichtig, aber wir leben heute nicht im Jahr 1933 und
haben die Möglichkeit zu differenzieren. Rechtsextreme Feindbilder
sind heute nur dann nützlich, wenn man sie auch gleichzeitig
hinterfragt. In der kritiklosen Übernahme dieser Feindbilder
kann ich kein Interesse der Prävention erkennen. Oftmals zehren
antifaschistische und andere Gruppierungen von ihrem Feindbild,
dem Rechtsextremismus. Ohne die Rechtsextremen hätten sie keine
Existenzberechtigung.
Herr Althof,
haben Sie manchmal ein mulmiges Gefühl, wenn Sie sich mit Rechtsextremen
treffen?
Nein, das habe
ich nicht. Ich bin eher gespannt, auf was für eine Person ich
treffen werde, welche Geschichte hinter einem gewissen Vorfall steht.
Ich gehe grundsätzlich interessiert in eine solche Situation
hinein.
Haben Sie bei
Treffen mit Rechtsextremen auch schon Gewalt erlebt?
Körperliche
Gewalt habe ich bisher zum Glück noch nie erlebt. Ich bekomme
manchmal Gewaltandrohungen, selten auch Morddrohungen. Daneben diffuse
Drohungen. Zum Beispiel in einer SMS: «Na, du jüdischer
Bastard, biste immer noch am Leben? Ich denke bald nicht mehr, denn
ich kenne da jemanden, der dich nicht mehr sehen will!» Drohungen
können entstehen, wenn noch keine Vertrauensbasis erarbeitet
werden konnte. Sie können aber auch einen von Angst besetzten
Wunsch nach Kontaktaufnahme signalisieren.
«Ich bin
grundsätzlich ein Skeptiker und glaube nicht immer an das Gute.»
Das ist eine
sehr positive Betrachtung. Andere hätten Angst …
Sehen Sie, oft
reagieren Personen erst mit einer Drohung und einer verkappten Angst
auf ein unerwartetes und echtes Kontaktangebot. Es ist eine Art
von Beziehungsangst, die hervortritt und die dann mit einem Machtgebaren
abgewehrt werden soll.
Haben Sie auch
schon strafrechtliche Schritte eingeleitet, wenn Sie von einer Gefährdung
ausgingen?
Ja, sicher.
Man muss bei allem Verständnis immer auf dem Boden der Realität
bleiben. Den betroffenen Personen muss klar sein, dass ihre Handlungen
strafrechtliche Folgen haben. Ich zeige alle strafbaren Handlungen
an. Umgekehrt finde ich, dass ein strafrechtlicher Vorstoss ohne
gleichzeitiges Handreichen keinen Sinn macht. Man muss den Betroffenen
immer die Möglichkeit geben, sich zu verändern.
Sie sehen selbst
hinter Extremisten noch die menschliche Seite. Sind sie ein naiver
«Gutmensch»?
Nein, ich bin
grundsätzlich ein Skeptiker und glaube nicht immer an das Gute.
Es ist auch nicht immer möglich, eine Verbesserung zu erzielen.
Aber es lohnt sich immer für alle Beteiligten, wenn man es
wenigstens versucht.
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