Dominanz und Militanz
Samuel
Althof, Leiter der Fachstelle für Extremismus und Gewaltprävention,
beobachtet rechts- und linksextreme Gruppierungen. Gemeinsam ist
laut Althof allen Extremisten ein abgeschlossenes Weltbild, das
als einzig richtiges erachtet wird und keine Diskussionen zulässt,
sowie die Bereitschaft, diese Idealvorstellung mittels Gewalt in
die Realität zu überführen.
Quelle: VSAO Journal,
01.02.2014
Mit Samuel Althof, Leiter der Fachstelle für Extremismus und
Gewaltprävention (fexx), sprach Catherine Aeschbacher, Chefredaktorin
VSAO-Journal.
Was verstehen Sie unter Extremismus?
Samuel Althof: In meinem Arbeitsbereich sind dies Bewegungen, welche
die demokratischen Strukturen und Werte unseres Staates ablehnen
und aktiv bekämpfen. Dieses Merkmal verbindet Links- und Rechtsextreme:
Sie sind demokratiefeindlich. Beide Gruppen haben ein in sich geschlossenes
Weltbild, welches absolut ist und keine Diskussionen zulässt.
Entsprechend wird Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung der
politischen Ziele angesehen.
Und was unterscheidet Rechts- von Linksextremismus?
Ich antworte mit Blick auf die Gewaltprogrammatik: Die demokratiefeindlichen
Konzepte der Linksextremen sind in sich schlüssiger als jene
der Rechtsextremen. Die Linken sind intellektuell «fitter»,
während die Rechten hier zu Lande ein nicht so durchdachtes
und operativ anwendbares Weltbild haben. Das Feindbild der Rechten
sind Ausländer, Juden etc., das Feindbild der Linken ist der
Staat, das Kapital usw. Dieses Feindbild verlangt eine verstärkte
intellektuelle Auseinandersetzung. Linksextremisten werden zudem
viel schneller programmatisch, d.h., ihr Weltbild verfestigt sich
schneller, und sie erwerben wesentlich schneller die Tricks der
Camouflage usw. Im weiteren ist die Gewaltprogrammatik auf der linken
Seite viel ausgefeilter als auf der rechten. In der Schweiz gibt
es keine eigentliche rechtsextremistische Gewaltprogrammatik, sondern
punktuelle Gewalt: Vier, fünf Rechtsextreme sitzen zusammen,
betrinken sich und gehen danach spontan auf Passanten los. Die Linksextremisten
sind in der Lage, eine Bombe zu zünden oder anlässlich
von Demonstrationen sehr schnell Gesinnungsgenossen zu organisieren
und zuzuschlagen. Im Gegensatz zu den rechten sind die linken Extremisten
auch wesentlich besser organisiert.
Wie sieht das zahlenmässig aus?
In der Schweiz geht man von 1000 bis 1500 Rechtsextremen aus. Diese
Zahlen schwanken, da Leute abspringen und neue hinzukommen. Für
die linke Seite fehlen genaue Zahlen. Aber man rechnet mit etwa
2500 Personen, die als linksextrem eingestuft werden müssen.
Dennoch lösen Rechtsextreme ein viel grösseres Medienecho
aus als Linksextreme. Weshalb?
Darüber kann ich nur spekulieren. Wahrscheinlich vermuten die
Medien, das Thema Rechtsextremismus sei von grossem Interesse. Es
gibt folglich einzelne Journalisten, die sich auf Rechtsextreme
spezialisiert haben. Sobald sich z.B. auf der Website der PNOS (Partei
national orientierter Schweizer) etwas verändert, erhalte ich
Anrufe mit der Bitte um Einschätzungen. In der Regel handelt
es sich aber nur um Provokationen oder um Propaganda-aktionen, die
jedoch bei einzelnen Medien fälschlicher Weise auf Interesse
stossen. Die PNOS hat in Wirklichkeit keinen Fuss auf dem politischen
Boden. Durch die übertriebene Berichterstattung werden Nichtigkeiten
aufgebauscht und die Rechtsextremen erhalten eine völlig disproportionale
Aufmerksamkeit. Dieses Aufbauschen hilft den Rechts- wie auch den
Linksextremen, denn beide Gruppen beziehen ihre Existenzberechtigung
daraus – und das ist gefährlich. Gleichzeitig werden
Rechtsextreme in den Medien unreflektiert als Neonazis bezeichnet,
was einer Verharmlosung der Neonazis bzw. der Nazis gleichkommt.
Wo liegt der Unterschied?
Richtige Neonazis haben eine ganz klare Gewaltprogrammatik im Kopf
und ein geschlossenes, rassistisches Weltbild analog zum Nationalsozialismus.
Ein echter Neonazi muss bereit sein, jemanden umzubringen. Wie dies
zum Beispiel bei den Mitgliedern der Zwickauer NSU-Gruppe oder bei
Horst Mahler usw. ist. Es gibt indes viele Rechtsextreme oder Rechtsorientierte,
die das Provokationspotential des Themas erkennen und sich aufgrund
beispielsweise eines Selbstwertproblems entsprechend auffallend
gebärden.
Gibt es eine extremistische Persönlichkeit?
Ja, es gibt zumindest Aspekte davon. Extremistische Personen sind
klar dominanz-orientiert, d.h., sie haben fixe Ideen, die nicht
hinterfragt werden dürfen. Sie «kennen» die Wahrheit
und ihr Denksystem setzt sich über alle anderen Ansichten hinweg.
Die Dominanz dieses Weltbilds wird militant gegen Andersdenkende
durchgesetzt. Das trifft im Übrigen auch auf Sektenmitglieder,
Islamisten usw. zu: Der Mechanismus bleibt sich gleich, die Inhalte
sind auswechselbar. Deshalb konnte z.B. der ehemalige linksextreme
Terrorist und Verteidiger von RAF-Terroristen Horst Mahler zu einem
gefährlichen Neonazi werden.
Wie entstehen solche Persönlichkeitsstrukturen?
Das ist nicht einfach zu beantworten. Irgendwann in der Entwicklung
eines Menschen wächst offensichtlich eine Erkenntnis, dass
er sich mit dominanzorientiertem Denken und vor allem Verhalten
Vorteile sichern kann. Reagiert die Umwelt nicht darauf, kann ein
solcher Weg weiter beschritten werden. Dazu kommen natürlich
noch viele individuelle Probleme, die es attraktiv erscheinen lassen,
an der Dominanzorientierung und den damit verbundenen Gewaltoptionen
festzuhalten.
Also sind nicht alle Extremisten arme Würstchen, die in vielerlei
Hinsicht benachteiligt sind und nun das verletzte Selbstwertgefühl
aufpolieren?
Nein, keinesfalls. Auf der rechten Seite kenne ich zwar einige,
die aufgrund ihrer Biografie wohl in diese Kategorie fallen würden.
Aber es gibt andere, die eine ganz normale Kindheit durchlebt haben
und sich trotzdem für die Dominanzorientierung entscheiden.
Die Ursachen sind äus-serst vielfältig. Allerdings ist
ein nicht dominanzorientiertes Elternhaus sicher ein Stück
weit präventiv.
Wie gross ist die Gefahr, die in der Schweiz von Rechts-extremen
ausgeht?
Zurzeit ist diese gering. Auf politischer Ebene ist die Gefahr von
Rechtsextremen schlichtweg nicht vorhanden. Es gibt keinen einzigen
rechtsextremen Politiker in irgendeinem Parlament. Selbst die Schweizer
Demokraten, die ich dem aller-äussersten rechten Rand der Demokratie
zurechnen würde, orientieren sich nach wie vor an der politischen
Ordnung. Bislang gibt es in der Schweiz keine Rechtsextremen, die
intellektuell und kom-battant gleichermassen stark sind, um eine
echte Bedrohung für die Gesellschaft zu werden. Selbst einen
operativ tragfähigen grenzüberschreitenden Zusammenschluss
mit andern Gruppen halte ich für wenig wahrscheinlich. Die
Gefahr des Rechtsextremismus ist die punktuell vollzogene Gewalt,
die sich meist spontan aus einer Situation ergibt. Doch diese Spontaneität
macht die Gruppen nicht weniger gefährlich, da keine Vorhersagen
gemacht werden können, wann diese Gewalt ausbricht und entsprechend
keine Vorkehrungen getroffen werden können.
Und wie beurteilen Sie das -Gefahrenpotential von links?
Es ist erheblich grösser als jenes von rechts. Linke sind zurückhaltender
in ihrer Absicht, Menschen zu verletzen. Aber sie akzeptieren «Kollateralschäden»
oder sprechen z.B. Polizisten schlicht ihr Menschsein ab. Angehörige
der Polizei werden u.a. als «Schweine» usw. bezeichnet
und verlieren damit ihre Schutzwürdigkeit. Diesen Mechanismus
kennen wir aus dem Dritten Reich, wo Juden mit Ungeziefer gleichgesetzt
wurden, um die Vernichtungspolitik zu legitimieren. In Basel wurden
vor einiger Zeit anlässlich der Räumung eines besetzen
Hauses gegen 50 einsatzbereite Molotowcocktails gefunden, welche
offensichtlich gegen Polizisten hätten eingesetzt werden sollen.
Welche Formen von Extremismus werden uns künftig am meisten
beschäftigen?
Wahrscheinlich die bereits bekannten Formen: Extremismus von rechts,
links, militante Tier- und Umweltschützer, Islamisten oder
andere religiöse Fanatiker. Besonders gefährlich sind
aber jene, die sich mit dem Internet im Stillen, ganz alleine und
unbemerkt selbst radikalisieren und dann zur Tat schreiten. Zudem
wächst wohl die Gefahr, die vom Internet ausgeht. Ich denke
dabei nicht nur an Vernetzung, Mobilisierung und Diffamierung Andersdenkender,
sondern an die Möglichkeit von Sabotage, z.B. an die Manipulation
von Kraftwerken usw.
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