Valdet Gashi: Der IS-Kämpfer aus dem Hegau
Quelle: Südkurier, 12.06.2015
Von Margrit Hufnagel
Siehe auch:
Thaibox-Weltmeister
beim IS in Syrien (Schweizer Fernsehen SRF)
Kickbox-Meister
jetzt IS-Glaubenswächter
youtube
Er
suchte das Paradies und fand die Hölle, Südkurier,
08. Juli 2015
Verlorener
Sohn, NZZ am Sonntag, 19.07.2015
Warum hat sich der Singener Valdet Gashi dem IS angeschlossen? Wer
ist der gefallene Champion aus dem Hegau? Und wer hätte ihn
halten können? Seine Familie ist fassungslos, und in Singen
herrscht Ratlosigkeit.
Dies ist die
Geschichte eines jungen Mannes, der in den Krieg zog. Die Geschichte
eines erfolgreichen Thaiboxers, der an das Gute glaubt und sich
trotzdem auf die Seite des Bösen stellt. Sie beginnt in Singen
und endet in Syrien. Dies ist die Geschichte von Valdet Gashi, Mitglied
des Islamischen Staates.
Es ist die
Geschichte von einem, der glaubte zu wissen, wie sein künftiges
Leben aussehen würde: Gemeinsam mit einem muslimischen „Bruder“
im weiten Kaftan durch die Straßen einer syrischen Stadt ziehen
und Kindern den Kopf tätscheln.
Zwischen Bruce-Willis-Action und Karl-May-Romantik
Den Händlern auf die Finger schauen, ob sie ihre Waren richtig
wiegen, nicht doch hinterlistig das Fleisch vom Schaf als Rind auszeichnen,
um ein paar Lira mehr zu kassieren. Hier ein nettes Wort, dort eine
Ermahnung. Er, der Kämpfer aus der Kleinstadt Singen, würde
all seine Kraft für den gemeinsamen Glauben und das große
Ziel einsetzen. Ein Lebensentwurf, der wie eine absurde Mischung
aus Bruce-Willis-Action und Karl-May-Romantik wirkt: Hart, aber
herzlich.
Gashi muss
aber auch gewusst haben, dass in seiner neuen Heimat die blutigen
Schädel von den Hingerichteten an Zäunen aufgespießt
werden. Dass schon Kinder Hasstiraden auf den Westen so flüssig
aufsagen können wie andere ein Nikolausgedicht und dabei die
Augen vor Wut zu Schlitzen zusammenpressen.
Valdet Gashi
wusste das alles. Er hatte es schließlich gesehen. Das Internet
ist voll von den entsprechenden Filmchen, durch die auch er sich
klickte. Valdet Gashi gefiel offenbar was er sah, er ging dem IS
ins Netz und beschloss, Teil dieser Welt zu sein, Teil des Kalifats.
Seit der SÜDKURIER vor einer Woche über den Dschihad-Touristen
aus dem Hegau berichtete, steht vor allem eine Frage im Raum: Warum?
Klassisch könnte man den Weg des 29-Jährigen nennen: Das
Internet gilt als die Rekrutierungsmaschine des IS. Wie keine Terrororganisation
zuvor hat es der IS gelernt, die virtuelle Front für seine
Zwecke zu nutzen. Im Netz kursieren Videos, die die äußerste
Brutalität der Miliz in die Ästhetik von Hollywood-Filmen
packen. Aber sie bilden nur die Speerspitze, eine Horrorshow für
den Westen. Dutzende weitere Filme sowie Hunderte Fotoserien sollen
vom sorgenfreien Leben im IS-Gebiet zeugen.
Die tiefe Sehnsucht nach etwas Großem
Nur ein Teil beschäftigt sich mit den militärischen Erfolgen,
der Rest ist Propaganda vom angeblich blühenden Alltag in der
Region unter Kontrolle der Islamisten. Heldenromantik.
Und ein Held,
das will auch Valdet Gashi sein. Die glänzenden Trophäen,
die er durch seinen Sport sammelte, waren ihm offenbar nicht mehr
genug. Das vermutet zumindest der Psychologe Samuel Althof von der
Fachstelle für Extremismus- und Gewaltprävention im schweizerischen
Basel.
Er kennt junge
Männer wie Gashi zu Genüge, das Muster ist häufig
sehr ähnlich: Grundlegende familiäre Konflikte, keine
beruflichen Erfolge im klassischen Sinn, eine instabile Lebensperspektive
mit Brüchen und gleichzeitig eine tiefe Sehnsucht nach etwas
Großem, eine Sehnsucht nach Auflösung aller Widersprüche
in einer schlüssigen und heilen Welt.
Aber trifft
das auf Gashi zu? Gashi hat nach seinem Hauptschulabschluss keinen
Beruf gelernt, aber immerhin war er Weltmeister. Er war international
gefragt, wirkte weltgewandt und souverän. Althof gibt die Frage
zurück: Welche eigenen Inhalte hatte der Thaiboxer, der eigentlich
ein sehr differenzierter Mensch sei, vor sich selbst vorzuweisen
außer seinen Sport? „Mit jeder Medaille wurde es leerer
in ihm. Dieses Defizit hat er schließlich durch die Perversion
des Islams mit einer islamistischen Ideologie aufgefüllt“,
sagt Althof.
Wer hätte ihn halten können?
Der Schweizer verfolgt Gashis Schicksal seit ein paar Monaten, durch
die islamistischen Äußerungen des jungen Mannes im Internet
ist er auf ihn aufmerksam geworden. Seither haben sie regelmäßig
Kontakt, bis heute. Althof versucht, mit ihm über Möglichkeiten
einer Rückkehr zu sprechen, doch groß ist seine Hoffnung
nicht. Nur wenn Gashi erkenne, was er sich selbst, seiner Familie
und seinen Kindern antue, habe er eine Chance.
Valdet brauche
eine emotionale Rückbindung. „Aber danach sieht es im
Moment nicht aus“, sagt Althof. Wenn sich ein Mensch in einem
abgeschlossenes Gedankengebäude, einer Ideologie, bewege und
damit alle Widersprüche in sich selbst auflöse, sei die
Gefahr sehr groß, dass die Person von Außen nicht mehr
erreichbar und damit für andere verloren sei. „Es ist
eine ganz traurige und dramatische Geschichte“, sagt Samuel
Althof.
Sechs Jahre
war Valdet Gashi alt, als er mit seiner Familie aus dem Kosovo nach
Deutschland floh. Der Vater war Polizist in der Heimat, wollte seine
Familie vor dem Krieg bewahren, seinen Söhnen ein gutes Leben
ermöglichen, bloß kein Ärger, die Familie steht
über allem. Ausgerechnet er muss nun zusehen, wie sich Valdet
in der Rolle des potenziellen Märtyrers gefällt. Er, der
mit großem Stolz die sportlichen Erfolge seines Sohnes gefeiert
hat, sieht ihn nun in einen anderen Ring steigen. „Er wollte
seinen Sohn als Helden sehen. Damit hat er sich an jener Figur beteiligt,
die Valdet jetzt geworden ist“, sagt der Schweizer Psychologe
Althof.
Valdet Gashi zelebriert sein neues Leben auf Facebook
Ein harter Vorwurf. Natürlich: Enver Gashi war häufig
mit von der Partie, wenn sein Sohn öffentliche Auftritte hatte.
Er war stolz. Wollte Erfolge sehen. Aber macht väterlicher
Ehrgeiz einen jungen Mann schon zum Terroristen? Die Hauptursache
für die Wandlung Gashis sieht zumindest der Extremismusexperte
in dieser Familiendynamik. Doch wie groß der Anteil seiner
Eltern, seines Bruders, seiner Frau an Gashis Abdriften ist, darüber
lässt sich eben allenfalls in Ferndiagnosen spekulieren. Fest
steht nur: Sie konnten ihn nicht halten.
Der Singener
wollte Teil von etwas Größerem sein. Darin liegt wohl
auch sein ungewöhnliches Mitteilungsbedürfnis begründet.
Gashi genügt es nicht, sich in den Dienst des IS zu stellen.
Er zelebriert sein neues Leben auf Facebook, gibt Interviews, postet
Bilder, die ihn in Syrien zeigen. Im Gegensatz zu vielen anderen
IS-Anhängern verschleiert er seine Spur in den Wüstensand
von Syrien nicht. „Narzistischer Profit“ nennt Psychologe
Althof das, was Gashi aus seinen öffentlichen Äußerungen
zieht – egal, ob er damit Ablehnung, Angst oder Bewunderung
auf sich zieht.
Und an Reaktionen
mangelt es nicht. Auf seiner eigenen Facebook-Seite wird er wüst
beschimpft: „Du bist Dreck. So was wie DU ist eine Schande
für die islamische Religion und für eine Sportart wie
Muay Thai. In der Hölle sollst Du schmoren“, schreibt
ein User. Ein anderer schlicht: „Stück Scheiße.“
Oder: „Ich habe nur Verachtung für so einen Menschen
übrig.“
Loni Gashi,
der jüngere Bruder von Valdet, kennt die Kommentare im Internet.
Auch die Familie erhält Drohungen. Selbst wenn er mit coolen
Posen versucht, den Hass nicht an sich heranzulassen, treffen ihn
die Anschuldigungen. „Ich finde es nicht gut, was Valdet macht“,
sagt er. „Aber er ist immer noch mein Bruder.“ Loni
ist so etwas wie der Familiensprecher geworden, seit sein Bruder
durch die Schlagzeilen geistert, Pressesprecher, Ersatzvater für
die Nichten, ältester Sohn und Prellbock.
Die Familienbande
sind eng bei den Gashis. Die gemeinsame Flucht aus dem Kosovo, die
Erinnerung an schwierige Zeiten in der neuen Heimat und den Krieg
in der alten Heimat, das unverrückbare „Blut-ist-dicker-als-Wasser“-Verständnis
einer albanischen Familie – das alles schweißt zusammen,
macht aus Geschwistern eine Schicksalsgemeinschaft. Manchmal wochenlang
waren die Brüder gemeinsam unterwegs, mal in Thailand, mal
in China, um ihren Sport auszuüben.
Die Familie ist fassungslos
Hätte nicht er, der so eng mit seinem Bruder verbunden ist,
etwas merken müssen? „Klar, ich habe seinen Bart wachsen
sehen, aber ich habe mir nichts dabei gedacht“, sagt Loni.
Religion war nie ein Thema in der Familie, ehe sich Valdet Gashi
zum strenggläubigen Muslim wandelte. Manchmal hätten sein
Vater und sein Bruder sich gezofft, weil Valdet wollte, dass auch
die Familie zu ihrem Glauben steht. Aber irgendwann habe man nicht
mehr darüber gesprochen.
Im Nachhinein interpretiert Loni manches anders, was früher
passiert ist. Dass Valdet in der Singener Fußgängerzone
im Namen der dubiosen Organisation „Lies“ Korane verteilte,
dass sich der Vollblutsportler zurückziehen wollte, dass er
sich vor seiner angeblichen Reise nach Asien mit Wanderschuhen und
fester Kleidung eindeckte. Trotzdem glaubte er ihm über Monate
hinweg, dass er in Thailand sei. Sie hatten doch gechattet und telefoniert.
Erst vor zwei
Wochen hat er dann die Wahrheit erfahren, weil Valdet reinen Tisch
machen wollte. „Ich musste es dann meinen Eltern sagen, die
waren fassungslos“, sagt Loni Gashi. Die Mutter ist am Boden
zerstört, weint. „Und mein Vater versteht das alles nicht.“
Genauso wenig wie er selbst, auch wenn er immer wieder versucht,
sich in seinen älteren Bruder hineinzuversetzen. Vielleicht
sei es ja alles nicht so schlimm, was Valdet in Syrien mache, er
sage ja, er sei zum helfen dort, und wer wisse überhaupt, ob
das alles stimmt, was die Medien über den IS verbreiten.
2014 war Valdet
Gashi schon einmal an der syrischen Grenze, hat mit einer Hilfsorganisation
aus Nordrhein-Westfalen Güter an Flüchtlinge verteilt.
„Ich glaube, das war der Punkt, an dem er entschieden hat,
dass er dorthin muss“, sagt Loni. „Und wenn sich mein
Bruder ein Ziel setzt, dann zieht er das auch durch.“ So sei
das in seinem Sport gewesen, so sei das mit der Religion und so
sei das jetzt mit seiner Reise nach Syrien. Ohne Rücksicht
auf sich – und auf andere. Seine Familie, seine Frau, seine
Kinder, sie leiden unter der Situation.
Darunter, dass der, den sie zu kennen glaubten, als Gefährder
gilt, darunter, dass der Staatsschutz bei ihnen vor der Haustür
steht. Die deutschen Behörden haben den Dschihad-Reisenden
im Blick. Markus Sauter vom Polizeipräsidium sagt: „Derzeit
ist der Fall bei der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Karlsruhe zur
Prüfung anhängig.“ Es besteht der Anfangsverdacht
zur Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Angst vor Nachahmern
Immerhin einen Trost haben die Gashis: Ihre Heimatstadt Singen steht
hinter ihnen. „Die Leute hier kennen uns, sie wissen, dass
wir nicht befürworten, was Valdet macht“, sagt Loni Gashi.
In wenigen Tagen wird er wie geplant beim Stadtfest als Breakdancer
auftreten, im kommenden Jahr sogar ein Festival organisieren.
Bei der Pressekonferenz
vor wenigen Tagen präsentierte er sich in großer Runde
neben Geschäftsleuten und lokaler Prominez. Und trotzdem: Die
Stimmung in Singen ist gedrückt, wenn das Thema auf Valdet
Gashi kommt. Oberbürgermeister Bernd Häusler sagt: „Wir
haben Valdet Gashi als tollen Sportler in der Stadt sehr geschätzt“,
und fügt hinzu: „Die aktuelle Entwicklung bedauern wir
sehr, sie bedrückt uns.“
Es sind Sätze
der Ratlosigkeit. Auch Marcel DaRin, Leiter der Kriminalprävention
in Singen, bleibt nicht mehr, als Hoffnung und Bedauern auszudrücken.
Erklärungen kann er nicht liefern. Valdet habe er stets als
positiven Menschen wahrgenommen. „Besonders für die Familie,
die hier in Singen sehr beliebt ist und sich viel aufgebaut hat,
tut es mir sehr leid“, sagt DaRin.
Andere fürchten
gar eine Sogwirkung auf weitere junge Menschen in der Region, sie
fürchten Nachahmer und eine Art Popstar-Status für Gashi.
„Valdet Gashi ist hochintelligent, spricht mehrere Sprachen
und ist sehr attraktiv“, beschreibt ihn die Gottmadinger Schriftstellerin
Ulrike Blatter. Sie kennt Familie Gashi seit der Verleihung des
Kulturförderpreises 2012, bei der sie zusammen mit Loni Gashi
auf der Bühne stand.
Blatter weiß:
„Valdet Gashi ist kein Loser-Typ.“ Das steigere seine
Anziehungskraft auf junge Leute. Sie hat einen Brief an Valdet ins
Netz gestellt, mit dem sie ihn zur Umkehr bewegen möchte. Sie
sammelt Unterschriften, um Gashi die Augen zu öffnen. Sie wolle
ihm zeigen, wie er in seiner Vorbildfunktion missbraucht werde.
„Ich wage kaum zu hoffen, das Valdet Gashi den Ausstieg schafft,
aber wenn wir weitere Jugendliche von der Reise ins IS-Gebiet abhalten
können, wäre das schon mal ein Erfolg“, sagt Ulrike
Blatter. |